Mehr als 40 Tote: Warum so viele Menschen in Bayerns Gewässern ertrinken

Die Warmwetterfront rollt auf Bayern zu. Mehr als 40 Menschen sind heuer bereits in Bayerns Gewässern ertrunken. Warum so viele Kinder und Jugendliche betroffen sind.
Alexander Spöri
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Kinder fahren mit dem Schlauchboot auf einem See. In ihrer Altersgruppe können sich einige kaum über Wasser halten.
Kinder fahren mit dem Schlauchboot auf einem See. In ihrer Altersgruppe können sich einige kaum über Wasser halten. © imago

Die kurze Verschnaufpause ist vorbei. "Jetzt geht es für uns wieder richtig los", sagt Andreas Rösch, Sprecher der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG), mit Blick auf das Wochenende.

Nach der Schlechtwetter-Kaltfront knacken die Temperaturen nun wieder die 30-Grad-Marke – und an Bayerns Flüssen und Seen werden die Einsatzkräfte dadurch wieder alle Hände voll zu tun haben. Die bisherige Bilanz des Sommers ist auf den ersten Blick erschreckend.

Mehr als 40 Menschen sind heuer bereits in bayerischen Gewässern ertrunken. 117 waren es bundesweit – der traurige Schwerpunkt liegt damit im Freistaat. "Mit einem Schlag kam das gute Wetter, aber die Flüsse und Seen waren eben noch kalt. Dadurch haben sich die Fälle spürbar geballt", sagt Rösch der AZ. "Wenn sich die erste Hitzeperiode nicht so lang gezogen hätte, wären die Zahlen niedriger geblieben."

Immer weniger Kinder in Bayern können schwimmen: "Das ist wirklich alarmierend"

Doch Rösch will nicht nur auf schlechtes Wetter hoffen. Neben Altersschwächen, Unerfahrenheit und Alkoholkonsum will er auf tieferliegende Probleme – gerade mit Blick auf verstorbene junge Menschen – blicken. "Unsere Zahlen belegen, dass 60 Prozent der Schüler am Ende der Schulzeit nicht sicher schwimmen können", so Rösch. "Das ist wirklich alarmierend."

Kinder verunglücken oft dort, wo Eltern kaum damit rechnen - im Gartenteich, im Planschbecken oder im Bach beim Spielplatz. Aber auch Ältere ertrinken immer häufiger. (Symbolbild)
Kinder verunglücken oft dort, wo Eltern kaum damit rechnen - im Gartenteich, im Planschbecken oder im Bach beim Spielplatz. Aber auch Ältere ertrinken immer häufiger. (Symbolbild) © Sophia Kembowski/dpa

Eine Forsa-Untersuchung aus dem Jahr 2022 bestätigt die düstere Einschätzung des Lebensretters: Jedes zweite Kind zwischen sechs und zehn Jahren (54 Prozent) hat kein Seepferdchen. Selbst nach der Grundschule besitzen 37 Prozent immer noch kein Abzeichen. Die wenigsten lernen das Schwimmen im Unterricht – gerade mal 13 Prozent. Meist müssen Eltern einspringen, private Kurse bezahlen oder ihre Kinder in Vereinen anmelden.

Das hat fatale Folgen: Kinder aus ärmeren Haushalten mit einem Nettoeinkommen unter 2500 Euro sind häufiger Nichtschwimmer (49 Prozent). "Es kann nicht sein, dass die Schwimmfähigkeit von der Größe des Geldbeutels abhängt", kritisiert Rösch.

Schwimmen ist Teil der Schulbildung – doch die Realität sieht oft anders aus

Auch wenn die DLRG günstige Schwimmkurse für etwa 100 Euro anbietet, müsse sich "gesamtgesellschaftlich" dringend etwas ändern. Sich im Wasser fortbewegen zu können, sei immerhin genauso wichtig wie Lesen, Rechnen und Schreiben. Daher appelliert der DLRG-Retter auch an die Schulen: "Schwimmunterricht muss endlich mehr sein als Duschen, Haareföhnen und Busfahren", sagt Rösch. "Von der 90-Minuten-Doppelstunde sind oft 40 weg."

Ein Bub und ein Mädchen steigen an einem See in ein kleines Schlauchboot. In ihrer Altersgruppe können sich einige kaum über Wasser halten.
Ein Bub und ein Mädchen steigen an einem See in ein kleines Schlauchboot. In ihrer Altersgruppe können sich einige kaum über Wasser halten. © stock&people/imago


Eigentlich gilt seit 1996 laut Bekanntmachung des Bayerischen Kultusministeriums: "Schwimmen ist in allen Schularten und Jahrgangsstufen, in denen Sportunterricht stattfindet, im Rahmen der Lehrpläne zu berücksichtigen." Die Schulaufwandsträger sollen "alle Maßnahmen" ergreifen, um den Schwimmunterricht sicherzustellen. Eine feste Stundenanzahl pro Schuljahr gibt es nicht.

"Wir sehen, dass Personal und Lehrer fehlen, um Schwimmer und Nichtschwimmer getrennt zu unterrichten." Gute Schwimmer bleiben unterfordert, schwächere Schüler stehen unter enormem Druck.

Schließungen von Bädern verschärfen die Lage

Verschärft wird die Lage durch fehlende Infrastruktur. Bundesweit schließen jährlich zwischen 70 und 100 Schwimmbäder, geht aus mehreren Umfragen hervor. Besonders hart trifft es ländliche Regionen. Vor allem dort gilt es als Privileg, ein Schwimmbad im Unterricht zu sehen.

"In München sind wir auf der Insel der Glückseligen und auf dem Land gibt es häufig ein Bad – und wenn das geschlossen wird, müssen große Strecken zurückgelegt werden", stellt Rösch fest. Die Konsequenz: noch weniger Schwimmunterricht, noch mehr Nichtschwimmer.

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Rösch und die DLRG wollen die Entwicklung so nicht einfach hinnehmen. In den nächsten Jahren soll sich vieles ändern: Mehr Ausbilder müssen tätig werden – mittelfristig auch Eltern. Die Schulen müssten den Ernst der Lage erkennen und lieber statt einer Doppelstunde ab und zu einen ganzen Schwimmvormittag anbieten. Außerdem brauche es auf kommunaler Ebene Bedarfspläne, die aufzeigen, wo Schwimmbäder fehlen und neu gebaut werden müssen.

"Es hilft nichts, wenn die Schule es sich ins Hausaufgabenheft schreibt und dann Gemeinden nicht mitziehen", mahnt der Lebensretter.

Ziel der DLRG: Bis 2035 soll jedes Kind schwimmen lernen

Sein Ziel ist hochgesteckt: "Unsere Mission ist, dass bis 2035 jedes Kind schwimmen kann." Dabei hegt er die Hoffnung, dass damit ebenfalls die Anzahl der Unfälle und Toten in bayerischen Gewässern langfristig tendenziell abnimmt.

Bis es soweit ist, bereiten sich Rösch und seine Kollegen auf das heiße Wochenende vor. Die Badesaison geht weiter – und mit ihr der Kampf gegen das Ertrinken.

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  • Bongo am 11.08.2025 13:32 Uhr / Bewertung:

    Antwort an FRUSTI13:
    So ein „Gestell“, wie es heute Eltern mit ihren Kindern haben (minutiöse Überwachung) hat’s zu meiner Kinderzeit nicht gegeben. Wir hatten überhaupt kein Geld und haben trotzdem Schwimmen gelernt. Weil wir uns den Eintritt in Freibad des nächstgrößeren Ortes nicht leisten konnten, sind wir Buben drei Kilometer an die Kleine Laaber geradelt , weil dort eine Mühle war, wo das Wasser angestaut war und in dieser Brühe haben wir uns selber das Schwimmen selbst beigebracht. Unsere Eltern wußten nicht einmal genau, wo wir waren. Manchmal kam ein totes Ferkel oder Huhn dahergeschwommen, dann sind wir raus und wenn der Kadaver weit genug entfernt war, haben wir wieder weiter gebadet.

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  • Der Münchner am 11.08.2025 08:27 Uhr / Bewertung:

    Eltern sollen Ihren Kindern das Schwimmen beibringen!
    Eltern können oft selbst nicht schwimmen!

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  • Himbeergselchts am 10.08.2025 13:05 Uhr / Bewertung:

    Wenn Länder und Kommunen dermaßen pleite sind, dass Schwimmbäder und Personal nicht mehr finanzierbar sind, ist zu empfehlen, an die Eltern der Kinder zu appellieren. Mein Vater leistete noch 48 Stundenwochen und arbeitete zusätzlich schwarz, weil das Geld in jungen Jahren unserer Eltern hint und vorn nicht reichte. Und - unser Vater lernte uns schwimmen.
    Nein, früher war nicht alles besser. Aber wenn Eltern immer mehr Verantwortung für ihre Kinder abgenommen wird, laufen Sozialleistungen kontraproduktiv, machen träge und Eltern nehmen sich immer mehr aus der Verantwortung. Viele Jahre war ich Sozialarbeiterin in einem Jugendamt. Die Reaktionen auf Unterstützungsangebote waren vor 30 und 40 Jahren noch geprägt durch: „vielen Dank, das ist ja super. Ich mach mit“. Heute haken schon Kinder nach: „Ich will aber…“ und „wer zahlt mir das, wer macht mir das, wer gibt mir was?“
    Falscher Ansatz im Sinne von Eigenverantwortung und Stärkung von Kompetenzen.

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