Matterhorn zu verkaufen

Wolfgang Pusch (34) aus Übersee übt einen seltenen Beruf aus: Er fertigt in Handarbeit maßstabsgetreue Gipfel – und lebt davon.
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Wolfgang Pusch und sein Matterhorn.
Gregor Feindt Wolfgang Pusch und sein Matterhorn.

ÜBERSEE AM CHIEMSEE - Wolfgang Pusch (34) aus Übersee übt einen seltenen Beruf aus: Er fertigt in Handarbeit maßstabsgetreue Gipfel – und lebt davon.

Im Wohnzimmer von Wolfgang Pusch steht der Kangchendzönga – der dritthöchste Berg der Welt. In das Modell im Maßstab 1: 50000 hat er besonders viel Herzblut gesteckt. Denn 2005 haben er und seine Liebste sich bei einer Trekkingtour am Fuße des Himalaya-Gipfels verlobt. In 4800 Meter Höhe.

Wolfgang Pusch (34) ist professioneller Reliefbauer und gehört damit einer äußert seltenen Berufsspezies an. Er kennt bloß einen anderen Mann, der mit exakt nachempfundenen Berglandschaften Geld verdient. Den Schweizer Toni Mair – und der ist sein Mentor. „Von ihm habe ich viel Know-how.“ Was wenige andere höchstens als Hobby betreiben, haben die beiden Männer perfektioniert. Bergbegeisterte, aber auch Unternehmen kaufen ihre Modelle.

Das Matterhorn, der Mont Blanc, der Watzmann, der Nanga Parbat oder das Dreigestirn Eiger, Mönch und Jungfrau – sie alle stehen am Chiemsee, und zwar in der kleinen Werkstatt von Wolfgang Pusch in Übersee. Wenn das Licht richtig darauf fällt, sehen die Miniaturausgaben der Berge beeindruckend echt aus. Da stimmt alles. Jede Flanke, jedes Geröll-Feld, jedes Waldstück.

So entsteht ein Berg

Zwei bis drei Monate arbeitet Pusch im Schnitt an einem ganz neuen Modell. Mit einer Akribie, die selten ist. „Was das angeht, bin ich schon ein Perfektionist“, sagt der gebürtige Münchner, der Geodäsie und Geoinformation studiert hat. „Aber für den Reliefbau hat mir das Studium gar nichts gebracht. Das ist ja eine absolute Nischentätigkeit.“

Und so entsteht ein Berg: In einem ersten Arbeitsschritt werden Karten auf feine Sperrholzplatten aufgeklebt und entlang der eingezeichneten Höhenlinien ausgesägt. Die so erarbeiteten Teile werden mit Leim übereinander geklebt – etwa 100 Schichten kommen dabei zusammen.

Dann wird das Ganze mit Gips ausgegossen. „Das ist einfach das beste Material, weil man es so gut bearbeiten kann“, sagt der Reliefbauer. Kunstharz würde im Laufe der Zeit schrumpfen. „Das ist tödlich.“ Das fertige Treppenstufenmodell sieht noch nicht wirklich nach Berg aus – eher nach gestapelten Pfannkuchen. Auf dem Arbeitstisch in Puschs Werkstatt steht im Moment das, was später einmal die Zugspitze werden soll. Der Eibsee ist schon zu erkennen.

Jetzt geht’s ans Schnitzen. Luftbilder, am besten stereoskopische, dienen als Vorbild. Zur Not tun es aber auch Bildbände und Fotos. „Heute findet man im Internet alles – von fast jedem Berg der Welt gibt es Fotos.“ Auf das fertig geschnitzte Gips-Modell wird Silikonkautschuk gegossen – so entsteht eine Negativform für spätere Abgüsse.

Kein Computer könnte so exakt arbeiten

Dann kommt der letzte und schwierigste Schritt: das Bemalen. Der helle Kalkstein am Watzmann, braun-rötlicher Granit am Mont Blanc – jeder Berg hat seine eigenen Farben. Und die gilt es mit Acryl-Tönen zu treffen. Von großen Gletschern bis hin zu kleinen Hütten – der Maßstab entscheidet, was das Modell alles wiedergibt. Aus aufgeleimtem, eingefärbtem Sand entsteht ein Wald. Ein wenig Lack lässt die Gletscher erstrahlen und fließen. Die gestaltet Pusch übrigens tendenziell eher kürzer – damit das Langzeitbild stimmt. „Der Gletscher-Rückgang zwingt derzeit alle zehn Jahre zu Korrekturen.“

Erst wenn jedes Detail passt, ist es fertig – das perfekte, kleine Bergmassiv. „Per Hand ist es so exakt, wie es maschinell nie gehen würde“, sagt Wolfgang Pusch. Kein Computer könne dasselbe leisten. Hauptproblem einer maschinellen Fertigung von Reliefs ist demnach die Farbgebung: „Luft- oder Satellitenbilder sind als Datengrundlage für eine automatisierte Bemalung nicht geeignet.“

Seine ersten Gipfel baute Pusch schon als Kind. „Ich weiß gar nicht mehr, wie ich darauf gekommen bin.“ Für Karten hatte sich Wolfgang als Bub von jeher interessiert. Gerade mal zehn Jahre alt war er, als er dann einen Gips-Großglockner und einen Gips-Großvenediger formte. Seine Erstlingswerke kann er leider nicht mehr herzeigen. „Meine Eltern haben die Modelle irgendwann weggeschmissen – da bin ich heute noch stocksauer.“

Zwischen 200 und 400 Euro kostet das Miniatur-Massiv

Das allererste Matterhorn bastelte Pusch dann mit 20. Damals, nachdem er zum ersten Mal oben gewesen war, auf dem echten. „Greislig“ sei das Berg-Modell gewesen. Doch Übung macht bekanntlich den Meister.

Vor drei Jahren hat Pusch sich selbstständig gemacht, nachdem er zuvor im Dienste der Bundeswehr stand. Heute schreibt er Bücher über Berge, absolviert die staatliche Ausbildung zum Bergführer und baut seine Reliefs. „Wir kommen gut aus“, sagt der 34-Jährige, der inzwischen verheiratet ist und Vater zweier kleiner Kinder. Die meisten Modelle verkauft er im Schnitt für 200 bis 400 Euro. Auftragsarbeiten sind natürlich deutlich teurer. Da muss der Interessent mit 10 000 Euro pro Quadratmeter rechnen.

Das Geschäft läuft hauptsächlich übers Internet – arg viel Laufkundschaft gibt es in Übersee am Chiemsee eben nicht (www.bergmodelle.de). Zwischen 150 und 200 Modelle hat Pusch in den vergangenen Jahren an den bergbegeisterten Mann oder die Frau gebracht. „Am häufigsten verkaufen sich Watzmann und Mount Everest.“ Nur das Matterhorn geht schlechter als erwartet.

Im alten Rathaus in Oberstdorf, im Watzmannhaus oder auf einer Hütte in den Schladminger Tauern – dort sind Puschs Objekte bereits zu sehen. Seine bisher größte Auftragsarbeit wird in diesen Tagen fertig. Für die Adelholzener Alpenquellen hat er in den vergangenen drei Jahren an einem 2,80 auf 2,50 Meter großen Modell von Hochgern und Hochfelln getüftelt. Am Fuße der beiden Gipfel wird das Mineralwasser des Unternehmens gewonnen – aus 140 Metern Tiefe. Demnächst soll Puschs Modell zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert werden. 35 Zentimeter hoch ragen seine Chiemgauer Berge in die Höhe.

Der Traum des 34-Jährigen wäre, für das Museumsprojekt von Extrembergsteiger Reinhold Messner alle Achttausender in einem einheitlichen Maßstab anfertigen zu dürfen. Welche Routen wurden begangen? Wann und wo? Das könnte man mit Hilfe der Reliefs gut darstellen. Pusch rief sogar an und fragte, ob Interesse besteht. Doch im Museums-Budget sind die handgemachten Modelle derzeit offenbar nicht drin.

Leicht hat der Chiemgauer es nicht, wenn er jemandem erklären möchte, was sein Beruf ist. Dabei hat er den Reliefbau freilich nicht erfunden. Modelle von Landschaften werden schon seit hunderten Jahren in mehr oder minder guten Qualität hergestellt. Die Voraussetzung zum Bau eines richtig guten Reliefs – die Datengrundlage aus der Vermessung und Kartographie – liegt jedoch erst seit dem 19. Jahrhundert vor.

Ein Leben jenseits der Berge? Undenkbar!

Der Schweizer Toni Mair, früher Lehrer, hat ein Buch über das Kunsthandwerk geschrieben. Ein Buch, das Wolfgang Pusch mit großem Interesse las. Darin stand auch, dass Mair gerne jemanden kennenlernen würde, der die Arbeit mit derselben Akribie ausübt wie er. Damit der Reliefbau nicht ausstirbt. Der viele Jahre jüngere Pusch fühlte sich sofort angesprochen. „Inzwischen sind wir gut befreundet.“

Wenn jemand fragt, was er von Beruf macht, dann antwortet der Chiemgauer manchmal einfach „Landschaftsmodellbau“. Nicht ohne die Ergänzung: „Und weil richtige Landschaft Berge sind, beschränkt sich das auf Berge.“

Das ist kein leerer Spruch für den 34-Jährigen. Genauso empfindet er das. Mit seinen Eltern hat er zwar auch schon für mehrere Jahre in Hamburg gewohnt. Aber heute, da könnte er sich ein Dasein jenseits von Gipfeln und Tälern nicht mehr vorstellen. Zumindest nicht über die Dauer eines Meer-Urlaubs hinaus. Deswegen bezeichnet er seinen seltenen Beruf auch als Traumjob, und zwar ohne wenn und aber. „Das Staunen über die Schöpfung – das drückt sich bei mir in den Bergen am schönsten aus.“

Seine Modelle sollen Menschen erfreuen, die sich dem Gebirge genauso verbunden fühlen wie er. Und weil es vor allem darum geht, um die Freude am Betrachten, bezeichnet Pusch seine Tätigkeit auch als Kunsthandwerk. „Kunst in dem Sinne, dass es von Können kommt. Und das wird mit jedem Relief besser.“

Julia Lenders

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