Marsch zur Spielzeugmesse

Beifall und Buh für Verdis „Aida“ aus dem Führerhauptquartier - einhelliger Jubel für Sänger und Dirigent.
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Frauen-Power nach Verdi-Art: Königstochter Amneris (Jordanka Milkova) versucht die Rivalin Aida (Mardi Byers) zu ersäufen – aber da greifen die Putzfrauen ein.
Jutta Missbach Frauen-Power nach Verdi-Art: Königstochter Amneris (Jordanka Milkova) versucht die Rivalin Aida (Mardi Byers) zu ersäufen – aber da greifen die Putzfrauen ein.

NÜRNBERG - Beifall und Buh für Verdis „Aida“ aus dem Führerhauptquartier - einhelliger Jubel für Sänger und Dirigent.

Es war wieder mal Tenor-Alarm am Nürnberger Opernhaus. Die Grippewelle hatte den Radames der neuen Produktion von Giuseppe Verdis „Aida“ bei der letzten Probe dahingerafft, und so musste Nothelfer Keith Olsen aus Düsseldorf, der die Partie seit 1983 (!) weltweit singt, am Premierentag eingewiesen werden. Was, wie sich alsbald herausstellte, nicht das eigentliche Problem dieser musikalisch sehr beachtlichen Erstaufführung war. Denn Zweifel meldete das Publikum wegen der Inszenierung von Jens-Daniel Herzog an, weil der vom Schauspiel zur Oper konvertierte Regisseur den Tod vom Nil in ein Führerhauptquartier versetzte, wo Auftritte von Schwarzhemden-Bruderschaften durch Putzfrauen-Kolonnen begleitet wurden. Als die Szene gar mit ungeleerten Müllsäcken überraschte, kam erster Widerspruch aus dem Dunkel. Vermutlich nicht bedenkend, dass es sich um Original-Dienstleistungs-Streik von ver.di handeln könnte.

Jens-Daniel Herzog löst die Geschichte aus dem exotischen Irgendwie

Die Oper, einst dem Suezkanal zu Ehren geschrieben und seit dem legendären Frankfurter Neuenfels-„Skandal“ anno 1980 von vielen Regisseuren dem dekorativen Verona-Design entrissen, versucht die Einbettung einer rührenden Liebesgeschichte in den tosenden Staatsaktionismus. Der Kriegsheld (Tenor) soll die Königstochter (Mezzo) heiraten, liebt aber eine Kriegsgefangene (Sopran). Was Väter (Bassbariton) erregt, also Dramatik bringen kann. Jens-Daniel Herzog löst die Geschichte aus dem exotischen Irgendwie – und weiß dann nicht, wohin er sie ersatzweise stellen soll. Im Ästhetik-Zement des Einheits-Bühnenbilds von Mathis Neidhardt, das vom Strategen-Treff der Militärs bis zum einsamen Sterbeplatz des Liebenden (Aidas Todes-Partnerschaft wird ihm nur als Wunschtraum gegönnt) nahezu unverändert bleibt, kommt Bewegung vorwiegend von unten.

Das Reinigungspersonal tritt zum Wischmobbing an

Es versinkt das Modell-Schlachtfeld, nachdem es in Konnersreuthischer Rätselhaftigkeit zu bluten begann und stattdessen erhebt sich eine Badewanne mit Prinzessinnen-Schaumschlag aus der Tiefe. Wo sonst gerne nabelfreier Hofstaat wimmelt, tritt das Reinigungspersonal zum Wischmobbing an. Später begnadigt der König gefangene Äthiopier und gibt ihnen mit T-Shirt-Zwangsjacken zu denken. „We love Egypt“, steht da drauf. Kein Wunder, dass sie Terroristen werden.

Guido Johannes Rumstadt dirigiert spannenden Verdi

Der Regie, die Massen stets zu bewegten Bildern einfriert und in der Fokussierung auf intime Momente besser ist, gelingt es nicht, erfundene wie frei zitierte Detail-Einfälle auf Reibungs-Linie zu bringen. Sie stehen nebeneinander und verpassen den emotionalen Sog, den die Musik entwickelt. Guido Johannes Rumstadt dirigiert spannenden Verdi, indem er die Zuspitzungen positioniert. Er zerfetzt mit Dramatik die wunderbar sich selbst immer wieder regenerierende Poesie-Folie, die von den Philharmonikern gefühlssicher übers Trara gelegt wird.

Die Sänger sind stimmlich ausgezeichnet

Die Sänger, mögen sie mit ihrem Charakter auch in den verordneten „modernen“ Posen verheddert sein, sind stimmlich ausgezeichnet. Mardi Byers findet in der Titelpartie der versklavten Herrschertochter zu traumhafter Innigkeit, Jordanka Milkova entlockt der Amneris, obwohl sie hier mit viel Killer-Instinkt ihre Rivalin ersäufen und den Bräutigam erwürgen will, kostbar schillernde Mezzo-Emotion. Auch das Spalier der dunklen Herren (Mikolaj Zalasinski, Nicolai Karnolsky, Guido Jentjens), denen Verdi Kraftfutter liefert, klang imposant. Keith Olsen war ganz souveräner Routinier. Ein Radames mit Stahl in der Stimme ist er nicht mehr.

Lauter kleine Puppen-Fallschirmjägerchen

Beim Triumphmarsch, wo Trompeter die Aida auf offener Bühne bedrohen, flimmern Kriegsfilme, ohne dass dies Beklemmung auslöst. Wirkungsvoller ist es, wenn zur Rückkehr des Radames von der Front lauter kleine Puppen-Fallschirmjägerchen aus dem Bühnenhimmel einschweben. Somit hätte Nürnbergs Oper einen weiteren Schritt nach vorn geschafft und erstmals die Spielzeugmesse eröffnet. Dieter Stoll

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