„Man sollte nicht fliehen vor Sehnsüchten“

Kristin Asbjørnsen ist eine norwegische Jazz-Elfe mit Reibeisenstimme und tritt am 9. Oktober beim „Stimmenfang“-Festival in Nürnberg auf.
Spätestens seit den überschwänglichen Kritiken zu ihrem neuen Album „The Night shines like the Day“ ist Kristin Asbjørnsen, die kleine Norwegerin mit der Reibeisenstimme, auch jenseits der Fjorde bekannt. Vorm heutigen Auftritt beim „Stimmenfang“-Festival (20 Uhr in der Nürnberger Tafelhalle) sprachen wir mit der 38-jährigen.
AZ: Frau Asbjørnsen, bei Ihren Konzerten scheinen Sie Ihre Songs immer weiterzuentwickeln. Einige Stücke erinnern an die experimentelle Arbeitsweise Ihrer A-Cappella Band Kvitretten, die man vom Bardentreffen kennt. Überraschen Sie das Publikum gerne – und auch sich selbst?
KRISTIN ASBJØRNSEN: Das Tolle an Konzerten ist, dass sich die Musik ständig weiterentwickelt. Sie bleibt nie gleich. Ich betrachte Konzerte immer als eine Art Reise. Eine spirituelle und musikalische Reise, mit einer meditativ-stillen Intensität oder einer sehr groovig-expressiven Energie. Schön, dass Sie sich auf Kvitretten beziehen; ich denke, dass man Spuren von fast allem, was ich bisher gemacht habe, in meinen derzeitigen Auftritten wiederfindet. Musik und Auftritte sind dabei gefärbt von meinem Duett-Partner Tord Gustavsen, meinen Arbeiten mit Dadafon, Krøyt, Kvitretten und meinen Soundtrackbeiträgen für Factotum und meiner Interpretation afroamerikanischer Spirituals.
Zentrales Thema des neuen Albums ist die Hoffnung und Leichtigkeit in dunklen Momenten. Ist Musik der beste Ausdruck von Hoffnung?
Alle möglichen unterschiedlichen Ausdrucksformen in der Kunst können eine einladende Atmosphäre in schwierigen Lebenssituationen schaffen. Wir alle müssen unseren eigenen Weg finden, um dem zu begegnen, was das Leben mit sich bringt: unseren Sorgen und Sehnsüchten, Erfahrungen von Verlust und Angst. Man sollte nicht fliehen. Für mich war Musik immer der beste Weg, mich auszudrücken. „The Night shines like the Day“ handelt von Verlust- und Wandlungsmomenten im Leben. Die Songs wuchsen in mir in einem dunklen Abschnitt meines Lebens. Ich brauchte sie als eine Art Erkundungsreise, sowohl musikalisch als auch persönlich.
Sie sind in Ihrem Leben viel gereist. Besonders Afrika hat einen großen Einfluss auf Sie gehabt. Warum?
Mich hat besonders die Musik Malis im Westen Afrikas beeindruckt; die meisten meiner Lieblingssänger stammen aus Mali. Mich berührt vor allem die texturreiche Musik mit den repetitiven Rhythmen, der tanzbaren Herangehensweise und den starken Melodien. Es ist wie ein Mantra, das mir Zugang zu einem Ort verschafft, an dem ich mich aufgenommen fühle. Ich war nun schon fünf mal in Mali, möchte aber eines Tages auch den Osten Afrikas besuchen.
Hätte man nur eine Woche Zeit – was sollte man sich in Norwegen ansehen?
Ich liebe ja mein Land. Man muss natürlich nach Norden fahren – dort, wo im Sommer die Sonne niemals untergeht. Ich wuchs wie ein Nomade in Norwegen auf und bin oft umgezogen. Für mich ist das Wichtigste, nahe am Meer zu leben. Ich lebe bei Bunnefjorden in Oslo, mit meinem kleinem Ruderboot vorm Fenster. Eine Woche ist natürlich zu kurz, aber mit dem Zug von Süden nach Westen zu fahren ist auf jeden Fall eine sehr schöne Reise. Während meinen Touren in Deutschland habe ich so viele Leute getroffen, die mindestens einen Monat in Norwegen verbracht und das Land durchkreuzt haben. Ich glaube fast, dass viele Deutsche mehr von Norwegen gesehen haben als die Norweger selbst.
Interview: Benjamin Jungert
Beim „Stimmenfang“–Festival treten bis zum Finale am Sonntag neben Asbjørnsen u.a. auf: das Sextett „Nachtlüx“ mit Nachtromantischem (9.10., 22.30 Uhr, Jazzstudio), Art Zentral mit Punk-Avantgarde (10.10, 20 Uhr, MUZ-Club) und Budde Thiems „Rocky Horror Swing Show“ (11.10., 20 Uhr, Musikschule Fürth)