„Lasst mich in Tränen baden“

Das vergessene Tragödienspiel des Gluck-Zeitgenossen Grétry, „Andromaque“, wurde bei den Nürnberger Gluck-Festspielen im Opernhaus bejubelt
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Vor der gekippten Fassade und der als Bahre verwendeten Leder-Couch herrscht bei Andromaque Emotions-Chaos.
Martina Pipprich Vor der gekippten Fassade und der als Bahre verwendeten Leder-Couch herrscht bei Andromaque Emotions-Chaos.

Nürnberg - Das vergessene Tragödienspiel des Gluck-Zeitgenossen Grétry, „Andromaque“, wurde bei den Nürnberger Gluck-Festspielen im Opernhaus bejubelt

Wenn es nach dem Beifall am Ende dieses Gastspiels im Nürnberger Opernhaus ging, wäre die Rückkehr eines vergessenen Werkes in die Spielpläne hiermit beschlossene Sache. Doch Festivals haben ihre eigenen Gesetze, also wird das in Schwetzingen erfolgreich ausgegrabene und in Nürnbergs Festspiel-Programm zentral platzierte „Andromaque“ - Tragödienspiel des Gluck-Zeitgenossen Ernest-Modeste Grétry zwar nicht versinken, aber auf den nächsten „Anlass“ warten müssen. Die Welt ist ungerecht, die Opernwelt sowieso.

Anders als der heroisch bleibende Reformator Gluck hat Grétry seine Theater-Verdienste eigentlich in der organischen Verbindung von Drama und Lustspiel. Davon ist im großen Lamento von „Andromaque“ wenig zu bemerken, aber Regisseur Georges Lavaudant deutet das an, wenn er den Überschwang eines eher Trauer schaffenden Heiratsantrages mit Riesentorte und Champagnerflasche dekoriert. Ansonsten lässt er die Handlungsfäden, deren Knoten in antiken Verschlingungen festgezurrt sind, diskret vibrieren. Was ein Kunststück ist bei einer Titelheldin, die alsbald fordert: „Lasst mich in meinen Tränen baden.“ Vor einer gekippten Fassade mit Gucklöchern steht eine Ledercouch, die abwechselnd für Therapiesitzung, Machtposing und Mumienaufbahrung eingesetzt wird. Davor das klassische Durcheinander der emotionalen Übergrößen. Liebe und Tod sind in der Logik großer Dichtung fest miteinander verwachsen. Die Inszenierung entkrampft das diskret, findet poetische Bilder für Schmerzens-Pathos und macht die Ohren frei für die Musik.

Dirigent Herve Niquet schält mit den Musikern von Le Concert Spirituel und dem extra für eine Vorstellung von Edgar Hykel einstudierten Chor des Staatstheaters den Kern des Werkes heraus, zeigt also das Saatgut einer Kunstgattung, das Jahrhunderte nachwirkte. Mag das in der Regel für Musikwissenschaftler interessanter sein als fürs Publikum, hier hat es Eindruck gemacht. Musik voller kunstvoll verschlungener Affekte und Dramatik, die sich von der Konvention nicht beherrschen lässt. Da kann man das angedrohte Tränenbad vergessen und Sängern wie Judith von Wanroij und Sebastien Guèze ausgiebig zujubeln. D.S.

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