Armes Landshut: Ein Besuch bei der Tafel
Landshut - Wer sich morgens bei der Landshuter Tafel anstellt, der geht nicht einkaufen im eigentlichen Sinne. Das Haushaltsgeld ist dafür zu knapp. Viele, die sich vor dem Tunnelhaus an der Inneren Münchener Straße in die Schlange stellen, schämen sich für ihre Armut.
Das sind Rentner, Alleinerziehende, Migranten, Spätaussiedler und viele, die Pech im Leben hatten. Einen Tafel-Ausweis kann der bekommen, der Sozialleistungen bezieht.
Wären da nicht die vielen Spendenschecks, die wie Bilder an der Wand hängen, würde die Landshuter Tafel an der Inneren Münchener Straße wie ein alter, beengter Tante-Emma-Laden wirken. Kleine Regale reihen sich dort aneinander, für Brot und Gemüse, neben Kühlschränken für Milchprodukte und Auslagen für Salate, Tomaten und Kartoffeln. Sogar eine Küche und ein Büro passen dort noch hinein. Getragen wird das alles von Ehrenamtlichen. Seit 13 Jahren.
Die Tafeln tun nämlich Gutes, stehen aber auch immer wieder in der Kritik: Soziologen wollen sie abschaffen. Sie seien ein "Pannendienst", der gesellschaftliche Probleme wie Altersarmut übertünche. Kürzlich verhängte die Essener Tafel einen Aufnahmestopp für Ausländer. Eine Rüge dafür gab es dafür von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Aktivisten beschimpften die Essener Tafel als ausländerfeindlich. Die Kritik wurde auch in Landshut wahrgenommen.
In Essen ist der Anteil von Migranten von 25 auf 75 Prozent gestiegen. In Landshut lag er in der Hochzeit bei 50 Prozent. Mittlerweile liegt er wieder bei einem Drittel. In Essen hatte sich der Versorgungsdruck auf die Tafel dadurch massiv erhöht. In einer Erklärung, die der AZ vorliegt, heißt es: "Die Kunden (...) dürfen nicht die Leidtragenden einer Situation sein, die auf enorme Verfehlungen der Politik zurückzuführen ist - und das über Jahre."
In Landshut sieht man das ähnlich, auch wenn die neuen, professionellen Strukturen, die mit der Übernahme der Tafel durch die Diakonie kamen, viel Druck aus dem Kessel genommen haben.
Die Landshuter Tafel wird von Katy Vera Hausen koordiniert. Vorsitzender Geschäftsführer ist Holger Peters. Peters kann gut verstehen, warum die Tafel in Essen diesen drastischen Schritt vollzogen hat. Gesamtgesellschaftliche Probleme würden auf die Hilfsorganisationen wie die Tafel abgewälzt werden - und zwar von der Politik. "Essen ist von der neuen Situation einfach überrannt worden", sagt Peters.
Auch in Landshut gab es während der Flüchtlingswelle einen massiven Anstieg von Migranten. Die Diakonie setzte auf Kommunikation und Koordination, um Reibereien zu vermeiden. Die Reihenfolge der Ausgaben ist kontrolliert. Ein farbiges Punktesystem weist die Bedürftigen darauf hin, wann sie an der Reihe sind. So gibt es unter anderem Zeiten, die alleinstehenden Frauen reserviert sind - "um ihnen einen Schutzraum zu gewähren. Unterschiede bei der Herkunft werden aber keine gemacht", sagt Peters. Das Miteinander stimme insgesamt. Das soll auch nach dem geplanten Umzug in das Luitpold-Center so bleiben. Derzeit laufen immer noch die Verhandlungen zwischen Eigentümer und Stadt.
Dass Menschen in Deutschland generell für Essen anstehen müssen, sei ein immer größeres Phänomen, das sich ausbreite: Ursprünglich wollten die Tafeln verhindern, dass Essen weggeschmissen werden muss. Peters sagt: "Das System hat sich verselbstständigt und ist selbsttragend geworden. Natürlich ist es gut, dass Tafeln Menschen helfen. Aber die Politik hat es dann für selbstverständlich hingenommen und vereinnahmt." Und damit auch das Ehrenamt.
Hinter der Tafel stehen Menschen wie Hartmut Lindner.
Der Pensionär hat als Geschäftsführer und oberster Qualitätsmanager eines großen Süßwarenherstellers gearbeitet - und kennt sich aus mit Lebensmitteln. Jetzt fährt der 66-Jährige mit seinen neuen Kollegen in einem Transporter durch Stadt und Landkreis - und schleppt kistenweise Lebensmittel. "Heute ist Tomatentag", sagt er, während er von der Laderampe hüpft. Dass die Tomaten keine Druckstellen haben, dafür aber rot, rund und reif aussehen, macht ihn glücklich.

Wie in Essen dachten auch Migranten in Landshut, die Tafel sei ein staatliches System und sie hätten Anspruch auf die Lebensmittel. "Diese Art von ehrenamtlicher Arbeit kennt man in diesen Ländern nicht", sagt Peters. In Landshut kommunizierte die Diakonie den Hintergrund in allen Sprachen. "Das Klima hat sich danach sofort geändert, als die Menschen erkannt haben: Die Tafel will helfen, aber das sind Menschen, die ihre Freizeit dafür opfern", sagt Peters.
Doch müssten die Tafeln nicht tatsächlich abgeschafft werden? Peters findet: "Die Politik muss vielmehr künftig in der Lage sein, die Rahmenbedingungen für Sozialhilfeempfänger zu verbessern, dass sie nicht darauf angewiesen sind, für Essen anzustehen." Die Regelsätze für Sozialhilfeempfänger seien zu knapp berechnet. Mit einer Mindestrente könne man viel Druck von den Tafeln nehmen, "und schon mal eine Personengruppe da herausnehmen, die sehr häufig betroffen ist".

Die Tafeln, das ist eine Gemeinschaft von Freiwilligen, die bundesweit über 1000 Lebensmittelausgaben betreiben. In Landshut arbeiten etwa 100 Freiwillige in der Warenbeschaffung, Aufbereitung und Ausgabe mit. Neben dem Tunnelhaus gibt eine weitere Lebensmittelausgabe in St. Peter und Paul an der Niedermayerstraße. Ihr Angebot, das sie mit Lebensmittelproduzenten und -vertrieben aus der Region schaffen, erreicht so in Landshut 1200 Personen - pro Woche. Die Nachfrage sei deutlich gestiegen - in Landshut seit 13 Jahren.
- Themen: