Kunst am Königssee: Wenn aus Büchern etwas ganz Besonderes wird

Marlen Kraus (37) aus Schönau am Königssee hat die Orimoto-Technik für sich entdeckt – und zaubert so besondere Motive aus Büchern.
von  Kilian Pfeiffer
Vor einigen Jahren hat Marlen Kraus Orimoto für sich entdeckt und seitdem unzählige Bücher gefaltet.
Vor einigen Jahren hat Marlen Kraus Orimoto für sich entdeckt und seitdem unzählige Bücher gefaltet. © Kilian Pfeiffer

Schönau - Ein Heiratsantrag in Buchform kann ganz schön viel Arbeit bedeuten, weiß Marlen Kraus. Mit Skalpell und Lineal sitzt die Schönauerin stundenlang vor ausrangierten Büchern.

Sie schneidet und faltet mit einer Pinzette die Seiten und schenkt den Büchern damit ein zweites Leben als Kunstwerk für das Buchregal. Jetzt muss der Beschenkte nur noch "Ja" sagen.

Objekte aus Büchern: die Faltkunst Orimoto

785 Seiten dick ist "Bis(s) zum Morgengrauen". Obwohl der dicke Wälzer – ein Top-Seller unter Buchverkäufern – noch gut in Schuss ist, nutzt ihn Kraus nur als Rohstoff für die eigene Buchfaltkunst. "Die Seiten sind perfekt zum Bearbeiten", freut sich die 37-jährige Mutter eines Sohnes. Orimoto nennt sich die Handarbeit, bei der durch Falten von Romanseiten kunstvolle Objekte entstehen.

Die gelernte Hotelfachfrau war lange Zeit krank geschrieben. Eineinhalb Jahre hatte sie Probleme mit ihren Füßen. "Arbeiten konnte ich nicht, ich wollte aber in kein Loch fallen." Die Buchfaltkunst lernte sie über ein Geschenk kennen. Sie war fasziniert von den Formen und Mustern, die in den Seiten ein Motiv bildeten. "Am Ende probierte ich es selbst aus." Mit den gefalteten Werken hatte sie ein schönes Geschenk – für besondere Anlässe und als Geschenk für gute Freunde.

"Ich habe für mich etwas gefunden, womit ich runterkommen kann"

Die ersten Versuche landeten allerdings in der Tonne. Die anfänglichen Schnitte mit der Schere saßen nicht. Wenn zu viel Papier fehlte, war die Optik gestört. "Das passiert mir auch heute noch manchmal."

Jeden Morgen vor der Arbeit setzt sie sich an ihren Esstisch. Das ist ihr Arbeitsplatz. Vor ihr liegt dann ein Buch. Abends, wenn sie aus der Klinik, in der sie an der Rezeption arbeitet, heimkommt, widmet sie sich erneut ihrem zeitintensiven Hobby. So geht das Tag für Tag, selbst am Wochenende. Manchmal hockt sie bis spät abends vor dem papierenen Werk, faltet die Einschnitte mit Lineal und Pinzette. "Für mich ist das die beste Entspannung. Ich habe für mich etwas gefunden, womit ich runterkommen kann."

Im Inneren sieht man, wie das Motiv gefaltet und geschnitten ist.
Im Inneren sieht man, wie das Motiv gefaltet und geschnitten ist. © Kilian Pfeiffer

Die Kombination aus Kreativität, Präzision und der Möglichkeit, ausrangierte Bücher in etwas Neues zu verwandeln - das fasziniert sie. Ihr Ziel: Menschen mit dem Handgemachten zu berühren und besondere Momente zu schaffen.

Mit den ersten Büchern kamen die Fragen aus dem Bekanntenkreis: "Kannst du mir auch mal ein Buch falten?". Oder: "Ich bräuchte noch ein Geschenk für meinen Vater."

Orimoto-Falttechnik: "Ein Buch dauert rund 20 Stunden"

Die Resonanz ist heute so groß, dass Kraus auf Monate hinaus zu falten hat. Manchmal weiß sie gar nicht, wie sie das alles schaffen soll. "Ein Buch dauert rund 20 Stunden", sagt sie. "Einen Stundenlohn dürfte ich mir da nicht ausrechnen."

Dick genug sollten die Bücher sein. Nur dann machen sie im Buchregal etwas her. Unter 500 Seiten fängt Kraus gar nicht an. Je dicker der Roman, desto mehr Falttechnik bekommt die Künstlerin unter. Hochgerechnet können das bis zu 15.000 Schnitte pro Werk werden. Im Laufe der Zeit ist sie von der Schere auf das Skalpell gewechselt. Damit lassen sich die Buchseiten feiner trennen. Kraus hat Dutzende Klingen in einem Karton gesammelt. "Irgendwann sind sie einfach stumpf", sagt sie mit einem Lächeln.

Vor der Buchkünstlerin stehen zwei aufrechte Holzscheite, an denen eine Schnur gespannt ist. Die Schnur hält die bearbeiteten Seiten von jenen ab, die erst noch geschnitten werden müssen. Die 37-Jährige bearbeitet Motive am Computer vor. Spezielle Schablonen helfen ihr dann bei der Bearbeitung.

Bücher-Kunstwerke mit der Orimoto-Technik: "Jedes Werk ist ein Unikat"

Durch die entstehenden 3D-Effekte wirken die Bücher am Ende plastisch und eignen sich dazu, neben den Motiven auch etwa ein LED-Teelicht darin zu platzieren: Schriftzüge wie "Papa ist der beste", persönliche Dankesworte ("Du bist so wertvoll. Ich bin stolz auf dich!"), oder auch ein Heiratsantrag stimmen die Künstlerin zufrieden: "Ich erfreue mich an der Freude anderer", sagt sie.

Eines der Kunstwerke von Marlen Kraus.
Eines der Kunstwerke von Marlen Kraus. © Kilian Pfeiffer

Manchmal sind es auch Porträts von Menschen oder Katzen, die sie auf die Seiten bringt. "Das Schöne ist: Jedes Werk ist ein Unikat." Bud Spencer und Terence Hill hat sie auch schon verewigt.

Apropos Bücher: Die kauft sie gesammelt über Facebook-Gruppen und auf Flohmärkten im Dutzend. Immer Hardcover. Der Schrank im Wohnzimmer ist voll bis oben hin. Gelesen wird die Quasi-Bibliothek aber nicht. Dafür hat sie zu wenig Zeit.

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