Kinderleiche Anna und das Bestattungsgesetz: Ins Grab damit!

Leichen und Leichtenteile müssen unter die Erde. In einem bizarren Streit um einen Schrumpfkopf geht’s um diese Sache. Warum der Zoff die Kirche und ein Museum mit einer Mumie in Verlegenheit bringt.
Helmut Reister |
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Darf sie nicht mehr länger ausgestellt werden? 700 Jahre ist Anna bereits alt, die Mumie in der Klosterkirche von Kastl in der Oberpfalz.
az Darf sie nicht mehr länger ausgestellt werden? 700 Jahre ist Anna bereits alt, die Mumie in der Klosterkirche von Kastl in der Oberpfalz.

Kastl (Oberpfalz) - "Erschrecken kann man schon. Das kann ich verstehen. Aber man muss ja nicht hinschauen.“ Der in sich erschließenden Logik von Bürgermeister Stefan Braun ist argumentativ wenig entgegenzusetzen. Anna, die 700 Jahre alte Kinderleiche in der Klosterkirche von Kastl (Oberpfalz), schaut so gruselig aus wie alle Mumien in einem derartigen Aggregatszustand. Wichtig aber ist, dass es sich bei Anna um eine Leiche handelt und es daran keinen Zweifel gibt.

In München, der Landeshauptstadt, gibt es auch Leichen, und eindeutig mehr als in der entlegenen oberpfälzischen Provinz. Deshalb ist davon auszugehen, dass sich die Leiterin der Münchner Friedhofsverwaltung mit Leichen und allem, was dazugehört, bestens auskennt. Zum Beispiel auch mit dem Bayerischen Bestattungsgesetz, das gleich im Paragraph 1 regelt, dass Leichen und auch Leichenteile grundsätzlich in ein Grab müssen, ganz oder als Asche. Seebestattungen sind noch eine genehmigungspflichtige Ausnahme. Den Härtetest hat die gesetzliche Regelung mit Hilfe der Friedhofsverwaltungs-Chefin erst bestanden.

„Wir sehen das etwas entspannter als die Münchner“

Schrumpfköpfe aus dem Amazonasgebiet schauen ungefähr so gruselig aus wie Anna in Kastl. Vor allem Seefahrer haben die Schrumpfköpfe in den letzten Jahrhunderten von Südamerika nach Europa gebracht. Sie bestehen aus der eingeschrumpften Haut eines getöteten Menschen, wurden nur von wenigen indigenen Völkern im Amazonasgebiet angefertigt und zu kultischen Zwecken verwendet. Was die Überreste der fragwürdigen Souvenirs und Mumien wie Anna außer ihres Aussehens noch vereint, ist der Umstand, dass es sich auf der Grundlage des Bayerischen Bestattungsgesetzes um eine Leiche, zumindest um ein Teil davon handelt und beerdigt werden muss.

Im Fall eines Schrumpfkopfes, der vom Münchner Auktionshaus „Hermann Historica“ unter Katalognummer 3418 für ein Mindestangebot von 2.500 Euro angeboten wurde, hat die Leiterin des Friedhofsamtes unter Androhung eines empfindlichen Ordnungsgeldes dafür gesorgt, dass Paragraph 1 des Bestattungsgesetzes umgesetzt wird, zumindest nach Angaben des Schrumpfkopf-Besitzers aus Stuttgart. Er hat den juristischen Streitfall mit der Friedhofsverwaltung dadurch beendet, dass er angab, den Schrumpfkopf beigesetzt zu haben. Ob das auch stimmt, ist eine offene Frage.

„Wir sehen das mit dem Schrumpfkopf etwas entspannter als die Münchner“, sagte der Sprecher der Stuttgarter Stadtverwaltung. Wird die ministerielle Sichtweise für Bayerns Museen zum Problem? Aus dem Schriftverkehr zwischen dem Münchner Friedhofsamt und dem Auktionshaus im Schrumpfkopf-Streit geht hervor, dass auch in diversen Ministerien die grundsätzliche Ansicht vertreten wird, dass Leichen und Leichenteile dem Bestattungsgesetz unterliegen. Das gelte auch für Mumien, erklärte eine Sprecherin des Ministeriums. Allerdings sei auch eine Abwägung zwischen „Totenruhe und Wissenschaftsfreiheit“ vorzunehmen, da Mumien wissenschaftlich von großer Bedeutung seien. „Vor diesem Hintergrund ist etwa eine didaktisch motivierte Ausstellung von Mumien in Museen natürlich zulässig“, beschreibt die Sprecherin den tolerierbaren Grenzverlauf.

Für etliche bayerische Mumien könnte die ministerielle Sichtweise zu einem Problem werden, ganz besonders für die kleine Anna aus der Oberpfalz. Mit einer didaktisch motivierten Mumienausstellung zu wissenschaftlichen Zwecken in einem Museum hat die Präsentation der Kinderleiche nicht einmal ansatzweise zu tun. „Die Anna ist eine Attraktion. Viele kommen nur ihretwegen hierher“, stuft Bürgermeister Stefan Braun den Stellenwert der Mumie ein. „Sie ist ein fester Teil der Dorfgeschichte“, sagt er mit Stolz.

„Achten darauf, dass die Würde der Toten streng beachtet wird“

Natürlich ist auch die Pfarrgemeinde daran interessiert, wahrscheinlich aus wissenschaftlichen Gründen, dass es der von Luftfeuchtigkeit und Temperaturschwankungen geplagten Mädchenleiche an nichts fehlt. Vor zwei Jahren wurden deshalb Konservierungsexperten ins Rennen gegen den fortschreitenden Zerfallsprozess geschickt. Nach einem Reinigungsprozess und wissenschaftlich motivierter Leichenkosmetik kehrte Anna im letzten Jahr in die Öffentlichkeit zurück.

Die Pfarrgemeinde Kastl liegt zwar näher an Regensburg, gehört jedoch der Diözese Eichstätt an. In der dortigen Kommunikationszentrale hat man an dem Umgang mit dem toten Mädchen in Kastl eigentlich nichts auszusetzen. „Wir achten immer darauf, dass die Würde der Toten streng beachtet wird“, sagt der Pressesprecher. So sieht es auch sein Kollege Clemens Neck vom Bistum Regensburg. „Auch in unserem Bistum gibt es Kirchen, in denen Tote sichtbar sind“, sagt er. Das hat seinen Worten zufolge jedoch weniger mit Sensationslust zu tun, die Beibehaltung der Tradition aus der Barockzeit Zeuge von tiefer Ehrfurcht vor dem Leben und dem Tod und sei Ausdruck einer tiefen Frömmigkeit. Religiöse Motive, die die Zurschaustellung von Leichen rechtfertigen könnten, tauchen allerdings weder in der Erklärung des Gesundheitsministeriums noch im Bestattungsgesetz auf.

Das ist schlecht für Anna, der ein einsames Dasein in Finsternis und Abgeschiedenheit droht. In Kastl bleibt man von einem möglichen Vollzug des Bestattungsgesetzes erst mal unberührt. Ein Jugendlicher auf dem Platz vorm Rathaus spiegelt eher das reale Bild wider. „Die bei der Halloween-Party im Bistro“, sagt er, „schauen schlimmer aus als die Anna.“

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