Kehrseite der Verklärung

Teil des Nazi-Systems: Ein Beitrag des Nürnberger Historikers Peter Zinke bringt neue Erkenntnisse über den Fürther „Quelle“-Gründer Gustav Schickedanz.
von  Abendzeitung
Vom 3. Reich profitiert: Gustav Schickedanz mit Frau Grete.
Vom 3. Reich profitiert: Gustav Schickedanz mit Frau Grete. © dpa

NÜRNBERG - Teil des Nazi-Systems: Ein Beitrag des Nürnberger Historikers Peter Zinke bringt neue Erkenntnisse über den Fürther „Quelle“-Gründer Gustav Schickedanz.

In der umjubelten Wirtschaftswunder-Revue „Petticoat & Schickedance“, die Ewald Arenz zum Fürther Stadtjubiläum beisteuerte, durfte „Quelle“-Boss Gustav Schickedanz sein Tanzbein gutonkelhaft über Geldgier und Charakter-Abgründe hinwegheben. Dass es die gibt, belegt ein Beitrag des Nürnberger Historikers Peter Zinke im neu erschienenen Jahrbuch des Nürnberger Instituts für NS-Forschung und jüdische Geschichte (Antogo Verlag, 184 Seiten, 12,80 Euro). Zwischen „Kristallnacht“ und „Verdrängte Geschichte, verklärtes Idol“ (gemeint ist Fürths Ehrenbürger Henry Kissinger „und die Verletzung der Menschenrechte“) gibt es nun im Fall Schickedanz statt Verklärung Erklärungen, warum Gustav Schickedanz, „Parteimitglied und Nazi-Stadtrat“, nach dem Krieg nur als „Mitläufer“ eingestuft und nicht als „Arisierungsgewinnler“ verurteilt wurde.

„Er drohte wieder mit der Gauleitung“ übertitelt Peter Zinke seine Recherchen im Nürnberger Staatsarchiv. Er durchforstete Gerichtsprotokolle der „Wiedergutmachungskammer“ und „Quelle“-Chroniken und kommt zum Schluss: „Gustav Schickedanz hat hervorragende Beziehungen zur NSDAP-Gauleitung. Mit Hilfe dieser Machtinstanz wird auf die (meist) jüdischen Besitzer von lukrativen Immobilien Druck ausgeübt, der bis zur Inhaftierung und angedrohten Einweisung in ein KZ reicht.“

Erpresserische Methoden (samt krimineller NSDAP-Energie) werden bei der Übernahme des Heroldsberger „Camelia“-Werks ebenso bezeugt wie beim Erwerb des Fürther Familiengrundstücks in Dambach. Der Regimegegner und SPD-Stadtrat Lippert gab zu Protokoll, dass er sein Grundstück verkaufte, nachdem Schickedanz mitteilen ließ, er werde „bei weiterer Weigerung des Verkaufes Schritte unternehmen“: Er wollte ihm von der Partei die Pension streichen lassen. Ein anderes Grundstück in Dambach verkaufte eine Fürtherin, nachdem der Firmenboss sanft darauf hingewiesen hatte, dass er für den Arbeitsplatz ihrer Töchter bei sich im Versandhaus nicht garantieren könne.

Als Schickedanz eine Kriegsniederlage voraussah, überschrieb er die meisten Immobilien auf seine Familie. Und wurde nach Ansicht von Peter Zinke von der Justiz nach vorteilhaften Wiedergutmachungen an den Opfern „weißgewaschen“. Deutschland brauchte eben Wirtschaftswunder. Andreas Radlmaier

Eckart Dietzfelbinger vom Nürnberger NS-Dokuzentrum spricht am Dienstag, 11. November, um 19.30 Uhr im Jüdischen Museum Fürth über den „Fall Schickedanz“

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