Kapitalismus für Anfänger

Mit der Komödie „Die Kontrakte des Kaufmanns“ verhilft Regisseur Stefan Otteni Elfriede Jelinek zu einem späten Nürnberger Theater-Debüt.
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Kinderkram und Discounter-Schlachten: Probenfoto aus Ottenis Inszenierung mit Gina Henkel (l.) und Dietmar Saebisch.
Marion Bührle Kinderkram und Discounter-Schlachten: Probenfoto aus Ottenis Inszenierung mit Gina Henkel (l.) und Dietmar Saebisch.

NÜRNBERG - Mit der Komödie „Die Kontrakte des Kaufmanns“ verhilft Regisseur Stefan Otteni Elfriede Jelinek zu einem späten Nürnberger Theater-Debüt.

Ein Gespenst von Freiheit wird die Besucher der nächsten Nürnberger Schauspiel-Produktion den ganzen Abend begleiten: Für die Inszenierung von Elfriede Jelineks Wirtschaftskomödie „Die Kontrakte des Kaufmanns" (Premiere am 18.10.) will Regisseur Stefan Otteni dem Zuschauer die Entscheidung überlassen, was er aus welcher Distanz sehen will – oder auch nicht.

In der Tafelhalle gibt es statt der Tribüne nur Sitzkissen und mobile Klappstühle, die oft wie Kabarett-Sketche anmutenden Szenen zur akuten Weltkrise werden auf verschiedenen Podesten gespielt und zwischengeschaltet sind Werbeblöcke, wo kleine Geschenke von wechselnden Firmen gute Laune oder Schnäppchen-Mentalität stabilisieren. Das späte Nürnberger Theater-Debüt der wortmächtigen österreichischen Nobelpreisträgerin trägt also den Keim von Gruppendynamik in sich.

Von Streit über Werktreue ist immer wieder zu hören, aber solche Autoren wie diese kennt man am Theater sonst nicht: „Macht damit, was ihr wollt“ hat Elfriede Jelinek den Bühnen zu ihren gebündelten Verdichtungen eines aktuellen Weltblicks gesagt, was durchaus zu Lähmungen führen könnte. Ein Textflächennutzungsplan konnte Stefan Otteni nicht schaden, der vom „Klassiker-Schraubstock“ Schiller (in der Kongresshalle inszenierte er vorige Saison „Maria Stuart“) in die qualifizierte Beliebigkeit einer Redseligen entlassen wurde. Offenbar will er die Chance nutzen.

„Die Unübersichtlichkeit des Textes spiegelt die Realität, die Weltwirtschaft ist nur über Verwirrung erklärbar“, sagt der Regisseur über die „90 dick bedruckten Seiten“, die er als einschüchternde Vorlage hatte. Darin wird alles angetippt, was das Bodenpersonal der überfliegenden Finanz-Phantome betrifft. „Banker, die sich über naive Anleger lustig machen“ wie „Ex-Millionärinnen, die den Weg zurück zum Discounter“ beklagen, auch.

Der Regisseur will, wenn mit antiker Chor-Wucht „die Banalität der Schlaumeier aus der Wirtschaft“ attackiert wird, Stimmungslage „wie bei einem Ortsverein von ratlosen Kleinanlegern“ und hat sich ein Zitat als Wegweiser durch seine Inszenierung gegriffen: „Ich habe versucht, den Kapitalismus zu lieben, aber ich schaffe es einfach nicht“.

Bei der Kölner Uraufführung, die inzwischen nach Hamburg weitergewandert ist, war das Staunen über die Krise noch frisch und das Publikum „froh, am Abend über den Dreck lachen zu können, der es tagsüber in Schrecken versetzte“. Da durfte das Spektakel vier Stunden dauern. In Nürnberg soll die Hälfte der Zeit reichen, obwohl der Regisseur sogar „Beratungsgespräche“ nach Original-Modellen neu ins Programm genommen hat. Und einen nicht hohnfreien Schnellkurs „Kapitalismus für Anfänger“.

Vor allem aber will er „nach zehn Seiten Text immer wieder das Gehirn durchlüften", hat viele musikalische Zwischenspiele eingebaut und lässt das willige Ensemble („Ich hatte nicht erwartet, dass sie so auf den Sog der Jelinek-Sprache abfahren“) die schrecklichsten Ausstattungs-Textilien aus dem Nürnberger Fundus auftragen. „Manches ist albern, was ich da von ihnen verlange – aber so ist das Stück eben auch“. Kurzbeschreibung: „Es fängt bunt hitzig an und wird immer kälter, bis am Ende alles ausgespielt ist und die Kostüme auf einem großen Haufen landen.“

Dann sieht Otteni seine Aufführung, die zuvor „befreiendes Gelächter aus dem Galgenhumor wie bei Moliere“ anstrebt, beim weniger juchzenden Beckett landen. Der ernüchternde Epilog, den die sonst keinem aufklärerischen Kalauer abgeneigte Jelinek nachlieferte, ist inzwischen allgemeines Gedankengut und als solches absolut unkomisch: „Es wird immer wieder so weiter gehen!"

Trost soll das Publikum nicht nur bei den Werbegeschenken finden, sondern auch beim Wort-Spiel. Der „absolut offene Text“ der Jelinek lasse alle Freiräume für Komödie: „Hier kann man endlich mal auf Schauspieler-Spezialitäten eingehen.“ Dieter Stoll

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