Justiz-Schande: 49 Unschuldige in Nürnbergs Knast!
Zu Unrecht verdächtigt: Die Opfer erhalten nur elf Euro pro Tag als Haftentschädigung
NÜRNBERG Unschuldig im Knast – ein Alptraum! Keiner möchte ihn erleben. Doch es passiert viel öfter, als man glauben mag. Christine Stahl, Landtagsabgeordnete der Grünen, hat jetzt die genaue Zahl durch eine parlamentarische Anfrage erfahren: 130 Menschen, die in Bayern unschuldig hinter Gittern saßen, mussten letztes Jahr aus der Staatskasse entschädigt werden. Fast die Hälfte davon stammen aus Nürnberg...
Der Staat kommt billig davon. Elf Euro pro Tag gibt es als Haftentschädigung. Dazu kommen eventuelle Anwaltskosten oder der Verdienstausfall. Davon hat der Unschuldige nichts. Denn will er Schmerzensgeld oder Schadensersatz, muss er klagen. Ein mühseliger und nicht immer aussichtsreicher Weg.
Jahrelanger Prozess gegen einen Gutachter
Donald Stellwag (53) ist ein Paradebeispiel. Er saß fünf Jahre lang unschuldig im Knast, weil er die Sparkassen-Filiale in der Nürnberger Scharrerstraße überfallen haben soll. Erst als er wieder in Freiheit war, wurde der wahre Täter geschnappt. Beide haben die gleiche massige Figur – mehr nicht. Ein Gutachter aber war sich ganz sicher, dass Stellwag mit dem Mann auf der Überwachungskamera der Bank identisch ist. Falsch! Er bekam die obligatorische Haftentschädigung – und musste einen jahrelangen Prozess gegen den Gutachter führen. Am Ende erhielt er 150000 Euro – für fünf Jahre Knast und ein verpfuschtes Leben.
Peter Doll, einer der renommiertesten Strafverteidiger in Nürnberg, hatte schon vor etlichen Jahren in einem AZ-Interview geklagt, dass in Nürnberg Verdächtige zu schnell in U-Haft wandern. Die Zahlen geben ihm Recht: Nach Angaben von Justizsprecher Andreas Quentin mussten 2008 im Einzugsgebiet des Oberlandesgerichtes 49 Personen wegen zu Unrecht erlittener Haft entschädigt werden.
Auch Anton W. (51) aus Oberfranken fand sich plötzlich hinter Gittern wieder. Eine 13-Jährige hatte ihn beschuldigt, sie vergewaltigt zu haben. Weil er leugnete und ihm das Gericht nicht glaubte, wurde er hart bestraft: Er bekam fünf Jahre, musste 40 Monate davon absitzen. Später stellte sich heraus: Das Mädchen hatte gelogen.
Die Sex-Falle schnappte auch bei einem Mandanten des Nürnberger Anwalts Thomas Dolmany zu. Eine Prostituierte hatte einen Freier, der mit ihrer Leistung unzufrieden war und nicht bezahlen wollte, wegen Vergewaltigung angezeigt. Die Wirkung war verheerend. Der „Vergewaltiger“ saß fast ein Jahr in der JVA, bis die Prostituierte als Lügnerin überführt wurde. Danach hatte der Mann einen Berg von Schulden, eine zerstörte Beziehung – und stand ohne Job da. Seine finanzielle Entschädigung durch den Freistaat Bayern: 4500 Euro.
Falsche Verdächtigungen machen auch der Jugendabteilung bei der Staatsanwaltschaft zu schaffen. Dort trudeln immer wieder einmal Anzeigen ein, die sich oft erst nach langwierigen und aufwändigen Ermittlungen als unsachlich oder unwahr herausstellen. Um in Beziehungsstreitigkeiten Rache zu üben oder Druck aufzubauen, werden immer wieder Männer wegen angeblichen Missbrauchs der Kinder belastet. Mancher von ihnen fand sich schon unschuldig hinter Gefängnismauern wieder.Helmut Reister
Nürnberger Justiz-Opfer bei Johannes B. Kerner.
Der ZDF-Talker Johannes B. Kerner spricht heute um 22.45 Uhr mit seinen Gästen über Justiz-Irrtümer. Dabei sind zwei Opfer aus Nürnberg: Jens Schlegel, der wegen eines Überfalls auf einen Taxifahrer eineinhalb Jahre unschuldig im Knast saß, weil er einem Phantombild ähnlich sah. Bei Kerner trifft Schlegel auf seinen damaligen Richter Dietrich Scheiba. Auch Donald Stellwag ist in der Sendung.
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