Irrer Kopfschuss-Killer: Wann schlägt er wieder zu?

Neun Tote - am 9. September jährt sich der Beginn einer einzigartigen Verbrechens-Serie zum zehnten Mal.
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Der Leitende Kriminaldirektor Wolfgang Geier war lange der Leiter der Soko Bosporus.
dpa 2 Der Leitende Kriminaldirektor Wolfgang Geier war lange der Leiter der Soko Bosporus.
Die Spurensicherung an einem der Tatorte.
AZ Archiv 2 Die Spurensicherung an einem der Tatorte.

Neun Tote - am 9. September jährt sich der Beginn einer einzigartigen Verbrechens-Serie zum zehnten Mal.

NÜRNBERG Wolfgang Geier ist – zumindest räumlich – weit weg von den neun Toten.

Als Leitender Kriminaldirektor kümmert er sich in Würzburg ums Sachgebiet Kriminalitätsbekämpfung. Doch die „Soko Bosporus“, die er jahrelang in Nürnberg leitete, lässt ihn nicht los. Er ist zu realistisch, als dass er zehn Jahre nach dem ersten Mord in Nürnberg an das plötzliche Wunder glauben könnte – die Festnahme des unheimlichen Kopfschusskillers: „Vielmehr fürchte ich mich vor dem Anruf, dass wieder einer erschossen wurde.“ Am 9. September 2000 begann in Nürnberg eine in Europa beispiellose Mordserie mit bis heute neun erschossenen Menschen – ein trauriges Jubiläum.

Seit wenigen Monaten liegen die Fälle bei der MK 3, der Mordkommission für ungeklärte Fälle. Bis es so weit kam, arbeiteten teilweise 160 Kriminalbeamte in ganz Deutschland an dem Fall, 52 davon beim Soko-Sitz am Nürnberger Plärrer. Nürnberg ist „Tatort-Zentrale“. Hier wurden drei der neun Morde verübt (siehe Artikel unten).

Die Polizisten legten Ermittlungsakten an, die in 1500 Ordnern gesammelt wurden. Sie überprüften 3500 Spuren, checkten 11000 Personen nach ihren Alibis, glichen 32 Millionen Datensätze wie Handy-Verbindungen oder EC-Karten-Bewegungen ab. Sogar eine Mathematikerin unterstützte sie mit der Auswertung von Zahlen, Daten und Tabellen – alles vergeblich. Nicht einmal die 300000 Euro, die derjenige bekommt, der den entscheidenden Tipp auf den Kopfschusskiller abgibt, halfen. Auch die Ermittlungen türkischer Kollegen führten ins Leere.

Georg Schalkhaußer hat früher, zu Hochzeiten der Soko Bosporus, Wolfgang Geier vertreten. Jetzt ist er der Vize-Chef der Kripo Mittelfranken. Ihm unterstellt ist die MK3, eine Hand voll Beamte, die die letzten offenen Ermittlungen der Soko Bosporus zu Ende führen. Schalkhaußer: „Wir haben getan, was zu tun war. Die letzte Tat liegt vier Jahre zurück. Die Hinweise, die jetzt noch abgearbeitet werden, sind überschaubar.“ Die MK3 komplettiert die letzten Ausläufer der Ermittlungen in engem Kontakt mit den anderen Bundesländern, in denen ebenfalls Menschen erschossen wurden, und dem Bundeskriminalamt.

Auf zwei Theorien hatte sich die Soko Bosporus eingespielt: zum einen die These vom psychopathischen Einzeltäter. Ein Profiler hatte dem Team geholfen, dem Unbekannten eine Persönlichkeit zu geben: psychisch labil, hasserfüllt, mit Fokus auf türkische Mitbürger. Er müsste mobil sein, vielleicht hat er einen Job, bei dem er viel unterwegs ist. Er könnte in Nürnberg wohnen. Der Profiler wurde sogar so konkret, wähnte ihn in der Südstadt.

Die andere Variante liegt in der Organisierten Kriminalität (OK). Doch hier fehlt das Entscheidende: das Motiv. Es wurde noch immer keines gefunden, das für alle Opfer gültig gewesen wäre. Geier damals als Soko-Chef: „Sollte es sich um OK handeln, dann läuft das alles so geheim, dass wir keine Zusammenhänge herstellen konnten.“

Im Leben der Opfer gab es für die Ermittler keine dunklen Flecken mehr. Jedes Detail war bekannt, jede Episode recherchiert, jede noch so kleine Sünde wurde entdeckt. Geier: „Trotzdem: kein Menschenhandel, keine Drogen, keine Schulden – nichts, was für alle, aber auch für Einzelne, ein Motiv gewesen wäre.“

Die Spurenlage ist verheerend. Der Killer schießt zur Tarnung durch eine Plastiktüte. Eine DNA-Spur von ihm gibt es nicht, obwohl die Tatorte sogar abgesaugt wurden. Die Zeugen-Aussagen sind kaum brauchbar, obwohl das Phantom oft am hellen Tag kommt, blitzschnell schießt, trifft und verschwindet.

Die einzige Konstante: die Mordwaffe, eine Ceska. Wie um seine Visitenkarte zu hinterlegen, benutzte der Täter sie in allen Fällen. Und er hatte bei zwei Morden Unterstützung: Enver Simsek (38), Blumenverkäufer und erstes Mordopfer, wurde in seinem Mercedes Sprinter von acht Kugeln getroffen – einige davon kamen aus einer Pistole vom Kaliber 6,35 mm, die anderen aus der Ceska. Das Kaliber 6,35 mm bohrte sich auch in den Körper von Süleyman Tasköprü in Hamburg.

Der Tagesablauf des Leitenden Kriminaldirektors Wolfgang Geier in Würzburg hat nun nichts mehr mit der Arbeit der Soko in Nürnberg zu tun. „Aber trotzdem werde ich häufig urplötzlich an die Soko erinnert, meist ausgelöst durch eine aktuelle Meldung. Dann stelle ich mir immer die gleichen Fragen: Warum hat er seit 2006 nicht mehr getötet? Ist er gestorben? Sitzt er in Haft? Meine Hoffnung ist, dass wir so nah an ihm dran waren, dass er einfach aufgehört hat.“

Geier macht eine kurze Pause. „Aber das ist vielleicht zu positiv gedacht.“ Susanne Will

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