Interview mit einem Ex-JVA-Leiter: "Gefängnisse sind Unsinn"

Das sagt ein früherer JVA-Leiter. Er will Strafanstalten ganz abschaffen. Warum der Augsburger zu diesem Schluss kommt und wieso man seiner Meinung nach nicht einschätzen kann, welche Häftlinge gefährlich sind – und welche nicht.
Ruth Schormann |
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Der Psychologe und Jurist Thomas Galli  war über 15 Jahre im Strafvollzug in Bayern und Sachsen tätig. Seit 2016 arbeitet der 43-Jährige in Augsburg als Rechtsanwalt. Er hat mit der AZ gesprochen.

AZ: Herr Galli, in Ihrem neuen Buch "Die Gefährlichkeit des Täters" schildern Sie in mehreren Geschichten verschiedene Täterschicksale. Um welche Menschen geht es da?
THOMAS GALLI: Es geht vor allem um Leute, die als höchstgefährlich gelten, also Sicherungsverwahrte. Auf der anderen Seite geht’s um die Frage, inwieweit der Staat Gefährlichkeit einschätzen kann oder sogar selbst gefährlich handelt im Umgang mit Straftätern.

Sie schreiben, man kann die Gefährlichkeit der Täter gar nicht richtig einschätzen.
Das ist es eben. Selbst mit höchster Gutachterkunst: In vielen Fällen wäre die Trefferquote höher, wenn man eine Münze wirft. Wir können es einfach überhaupt nicht einschätzen, ob ein Mensch dieses oder jenes machen wird.

Woran würden Sie dann bemessen, wer weggesperrt werden muss und wer nicht?
An den Taten statt an unseriösen Begutachtungen. Wer etwa einen Sexualmord an einem Kind auf dem Gewissen hat, da muss ich als Staat sagen können: Es ist egal, wie hoch die Gefahr ist, dass du das nochmal tust, wir können es nicht sicher sagen und wollen von dir keine Gefahr mehr in Kauf nehmen.

Aber es gibt doch Therapien und Resozialisierungsmaßnahmen im Gefängnis?
Es gibt überhaupt keine Nachweise, dass bei dieser schwerstgestörten Klientel Therapien irgendeine Aussicht auf Erfolg haben. Wir können Gefährlichkeit weder genau einschätzen noch therapieren.

Trotz jahrelanger Überprüfungen und Begutachtungen?
Ja, da beißt sich die Katze in den Schwanz: Je länger die Leute in Sicherungsverwahrung oder im Gefängnis sind, desto länger sind sie raus aus der normalen Welt. Umso schwerer wird es, dass sie wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden.

Aber es ist doch nachvollziehbar, dass die Gesellschaft in erster Linie Angst hat und froh ist, wenn lieber zu viele als zu wenige potenziell Gefährliche weggesperrt sind, oder?
Klar. Trotzdem muss man offen feststellen, dass es immer wieder Fälle gibt, in denen Leute aus rechtlichen Gründen entlassen werden müssen, die von Gutachtern als höchst gefährlich eingestuft werden. Die meisten tun dann gar nichts – entgegen der Prognose. Also werden unterm Strich viele weggesperrt, die das gar nicht müssten. Auf der anderen Seiten fordere ich für den Täterkreis der Höchstkriminellen eine sicherere Unterbringung.

Warum werden manche Menschen kriminell, andere nicht?
Es gibt zwei Faktoren: Die genetische Ausstattung und die Umgebung, in der man aufwächst. Es gibt nur ganz wenige, die von Natur aus keine Empathie empfinden, die dazu neigen, anderen Schaden zuzufügen. Aber bei den allermeisten hat alles Ursachen und Gründe. Viele schlimme Taten könnten verhindert werden, wenn in den Bereich Kindheit und Jugend investiert wird, für diejenigen, die da bereits Schwierigkeiten haben.

Was kann die Gesellschaft also tun, um das Böse nicht aufkeimen zu lassen?
Erstens sollte man die eigenen Impulse hinterfragen und langfristiger planen. Klar, der erste Impuls ist: Der hat etwas Schlimmes gemacht, der muss bestraft werden. Aber man muss sich bewusst machen, dass man damit langfristig überhaupt nichts verhindert. Denn der nächste Täter ist heute noch ein Kind. Man muss darüber nachdenken, was man früher hätte machen können, um die Tat zu verhindern.

Und aus politischer Sicht?
Investieren. Es gibt Studien, dass die Kriminalität deutlich sinkt in Problemvierteln, in denen etwa Jugendzentren gebaut wurden. Ebenso braucht man mehr Sozialarbeiter an Schulen. Aber sowas ist eben nicht unmittelbar messbar und man sieht die Erfolge erst 20 Jahre später. Aber es wäre zielführender.

Sie sagen, man soll die Gefängnisse in ihrer jetzigen Form abschaffen: Glauben Sie, das könnte wirklich eines Tages so weit sein?
Ich glaube tatsächlich, dass sie in dieser Form so abgeschafft werden. So wie gerade ist es einfach unvernünftig und eine Beleidigung des Verstands. Wer länger darüber nachdenkt, stellt fest, dass wir damit nicht das erreichen, was wir erreichen wollen: Resozialisierung. Genau das Gegenteil tritt ein.

Also werden Menschen durch das Gefängnis eher noch gefährlicher?
Ja, es ist eine unsinnige und schädliche Institution, die auch sehr viel kostet. Viele stimmen mir zu, dass zu viele Leute im Gefängnis sitzen, etwa Schwarzfahrer. Und die werden da drin noch schlimmer.

Die Zahlen: Häftlinge in Bayern

  • Es gibt 36 Justizvollzugsanstalten in Bayern.
  • Insgesamt sitzen hier 11.644 Inhaftierte im Gefängnis. 815 davon sind Frauen (Stand: 31. März 2017)
  • Von den Inhaftierten saßen an diesem Tag 3.042 in Untersuchungshaft, 58 sind in Sicherungsverwahrung. Diese sind in der JVA Straubing untergebracht.

"Die Gefährlichkeit des Täters" (12,99 Euro) ist in der Eulenspiegel-Verlagsgruppe erschienen.


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