Interview

In dieser bayerischen Gemeinde lebt es sich ausgezeichnet: Warum ist das so?

Es ist Oberbayerns "Heimatdorf 2025": Prutting im Landkreis Rosenheim. Warum lebt es sich hier so gut? Nachgefragt beim Bürgermeister.
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Natascha Probst
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Malerisch gelegen ist die Gemeinde Prutting im Landkreis Rosenheim natürlich auch - aber das Beste an der Gemeinde sind laut Bürgermeister Thusbaß die Menschen, die dort leben.
Malerisch gelegen ist die Gemeinde Prutting im Landkreis Rosenheim natürlich auch - aber das Beste an der Gemeinde sind laut Bürgermeister Thusbaß die Menschen, die dort leben. © Manfred Glück
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Dass es hier etwas anders zugeht, merkt man schon, wenn man bei der Gemeinde anruft. Blasmusik ertönt, man wird auf Bairisch und per Du begrüßt. "So macht man das in Prutting", sagt Bürgermeister Johannes Thusbaß (CSU/Parteifreie). Er durfte vergangene Woche von Heimatminister Albert Füracker die Auszeichnung "Heimatdorf 2025" in Empfang nehmen – als einzige Gemeinde in Oberbayern. Ausgezeichnet wurden "kleine lebendige Gemeinden mit herausragender Lebensqualität, starker Verwurzelung und Zusammenhalt". Online bewerben konnten sich alle Gemeinden in Bayern mit bis zu 3000 Einwohnern. Prutting hat 2936.

AZ: Herr Thusbaß, warum lebt es sich so ausgezeichnet bei Ihnen in Prutting?
JOHANNES THUSBAß: Wir haben in erster Linie unglaublich tolle Menschen hier in Prutting. Ganz tolle Hiesige, ganz tolle Zugezogene. Wir haben junge Menschen, die begeistert in Prutting leben. Wir haben alte Menschen, die begeistert in Prutting leben. Der gesellschaftliche Querschnitt in Prutting passt, das ist das Allerwichtigste. Ich brauche nicht irgendwelche tollen Baudenkmäler oder Treffpunkte, wenn dann die falschen Leute dort sitzen.

Johannes Thusbaß bei der Preisverleihung zum „Heimatdorf 2025“ in München. Der 1989 Geborene ist seit 2020 Bürgermeister der Gemeinde Prutting.
Johannes Thusbaß bei der Preisverleihung zum „Heimatdorf 2025“ in München. Der 1989 Geborene ist seit 2020 Bürgermeister der Gemeinde Prutting. © Johannes Thomae

Was ist denn bei Ihnen so besonders? Und woher kommt dieser gesellschaftliche Zusammenhalt?
Da wäre zum Beispiel unser Ü60-Wohnen, direkt in der Ortsmitte. Wir wollen nicht, dass unsere Ältesten irgendwann an den Ortsrand ziehen müssen. Sie sollen weiterhin in der Ortsmitte leben und dabei sein können, wenn etwas los ist. Gerade haben wir außerdem unser Wirtshaus reaktiviert, das 170 Jahre alt ist und jetzt acht Jahre lang geschlossen war. Da schwimmen wir in Bayern, wo es ja eher ein Wirtshaussterben gibt, gegen den Strom. Und was soll ich sagen: Das Wirtshaus läuft saugut. Die Gemeinde hat es gepachtet und an eine junge Familie weiter verpachtet. Meine einzige Vorgabe war, dass wir ein bayerisches Wirtshaus mit bayerischem Essen wollen. Generell haben wir die letzten Jahre schon einiges gemacht, bei dem uns viele am Anfang belächelt und auch kritisiert haben.

"Das Pruttinger Baulandmodell ist etwas Besonderes"

Zum Beispiel?
Wir im Gemeinderat treffen oft Grundsatzentscheidungen, an die wir uns langfristig halten wollen. Ein Beispiel ist unser Pruttinger Baulandmodell. Das ist etwas Besonderes – so etwas gibt es nur ganz selten in Bayern. Damit wollen wir steuern, wo und wann in Prutting gebaut werden darf. Viele Gemeinden sagen zwar, dass sie das über ihre Planungshoheit auch machen – aber in Wirklichkeit läuft es oft so: Ein Privatbesitzer stellt sein Grundstück auf Immoscout, wartet auf den Höchstbietenden, und verkauft dann an jemanden, der viel Geld hat. Für junge Leute oder Einheimische aus dem Ort ist so ein Grundstück dann oft nicht mehr bezahlbar. Wir wollen das anders machen.

Wie genau?
Uns ist wichtig, dass die Menschen, die sich in Prutting engagieren – also zum Beispiel hier aufgewachsen sind, hier arbeiten oder im Vereinsleben aktiv sind – auch weiterhin hier wohnen können. Wir wollen, dass das Dorf ein Dorf bleibt. Deshalb haben wir einen Grundsatz beschlossen: Wir machen keine neuen Bebauungspläne, wenn die Gemeinde nicht 100 Prozent der Fläche besitzt. Das heißt: Wenn uns das Grundstück nicht gehört, planen wir dort nicht. Und wir aktivieren auch ganz fleißig Leerstände und Baulücken. Das ist ja in viele Orte ein Problem, dass man in die Fläche wächst – und das möchte ich vermeiden, solange wir noch Potenzial im Innenbereich haben.

Aus vielen Dörfern ziehen ja die Jungen weg. Wie ist das bei Ihnen?
Das Problem haben wir nicht. Wir haben eher das Problem, dass der Grund bei uns nicht mehr bezahlbar ist. Wir haben Bodenrichtwerte von 850 bis 900 Euro für den Quadratmeter. Der ganze Landkreis Rosenheim ist teuer, wir liegen hier inmitten vieler Seen.

"Tatsächlich schaue ich immer zu den anderen auf"

War es schon immer so schön, in Prutting zu leben, oder ist das die letzten Jahre jetzt erst so gekommen?
Laut der Laudatio bei der Verleihung ist die letzten Jahre etwas passiert. Wir haben aus der Corona-Zeit etwas mitgenommen. Seitdem arbeiten die Vereine übergreifend zusammen, zum Beispiel bei unserem Pop-up-Biergarten. Den haben wir damals aufgesperrt, als die Vereine noch keine Veranstaltungen machen durften, die Kommunen aber schon. Ich habe damals gesagt: "Gut, dann macht die Gemeinde ab sofort jeden Donnerstag ein Fest", natürlich unter Einhaltung aller Corona-Regeln. Die Gemeinde konnte das aber natürlich nicht alleine leisten und so haben sich die Vereine zusammengeschlossen, zum Beispiel die Feuerwehr mit dem Schützenverein. Und dann hat man schnell gemerkt, dass die anderen ja gar nicht so verkehrt sind.

Was kann denn der Rest von Bayern von Ihnen als Heimatdorf lernen?
Tatsächlich schaue ich immer zu den anderen auf. Wenn ich gute Ideen von anderen Gemeinden finde, in der Zeitung oder auf Instagram, mache ich mir ein Foto. Jeden Freitagnachmittag habe ich Strategiezeit, da überlege ich mir, wie ich den Zielen von Prutting einen Schritt näher komme.

"Wenn ich mal nicht mehr Bürgermeister bin, möchte ich nach Berlin ziehen"

Was sind denn die Ziele von Prutting?
2021, als ich das erste Mal mit dem Gemeinderat auf Klausurtagung war, haben wir beschlossen: Wir möchten ein Dorf bleiben. Wir haben rechts und links größere Gemeinden, die haben zwar ein Schwimmbad, aber da kennt man sich nicht mehr. Wir haben uns klar dazu entschieden, das Wachstum, das wir immer hatten, zu unterbrechen. Von 2008 bis 2020 sind wir um gute 30 Prozent gewachsen. Wir reden nur von Integration, wenn es um Geflüchtete geht, aber wir müssen ja auch die Zugezogenen integrieren. Die müssen ja auch Anschluss finden, sich beim Einkaufen grüßen. Sie sollen auch wissen: Ich gehöre dazu.

Könnten Sie sich vorstellen, woanders zu leben?
Dauerhaft möchte ich nirgends anders als in Prutting leben. Aber wenn ich mal nicht mehr Bürgermeister bin, möchte ich nach Berlin ziehen, zumindest für zwei Monate. Ich denke mir immer, wenn ich mit der S-Bahn an so einem Wohnblock mit 300 Einheiten vorbeifahre, wie schön das sein muss, wenn man so anonym ist. Wahrscheinlich ist das dann gar nicht schön, aber die Erfahrung muss man mal gemacht haben.

"Heimat ist für mich da, wo man sich wohlfühlt"

Als "Heimatdorf 2025" haben sie nun ein Preisgeld von 50.000 Euro erhalten. Gibt es dafür schon Pläne? Was werden Sie damit machen?
Ich hab ja schon von unserem Pop-up-Biergarten erzählt – der Bauhof und die Vereine haben da immer so Glühweinhütten aufgestellt. Da hätten wir ganz gern ein festes Bauwerk, wo die Biertische fest verfügbar und öffentliche, behindertengerechte Toiletten drin sind.

Als Bürgermeister eines Heimatdorfes - was bedeutet Heimat für Sie?
Heimat ist für mich da, wo man sich wohlfühlt, wo man gerne ist. Wo man stressige Zeiten und weniger stressige Zeiten gut überbrücken kann.

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