In den Schluchten der braunen Berge

Herdentrieb zwischen Kamerad und Verrat: Die Ausstellung „BilderLast“ im Dokuzentrum lichtet „Franken im Nationalsozialismus“ attraktiv ab.
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Auf einem Steg durchs Bildergebirge des Nazi-Alltags in Franken: Blick in die Sonderschau „BilderLast“.
Berny Meyer Auf einem Steg durchs Bildergebirge des Nazi-Alltags in Franken: Blick in die Sonderschau „BilderLast“.

Herdentrieb zwischen Kamerad und Verrat: Die Ausstellung „BilderLast“ im Dokuzentrum lichtet „Franken im Nationalsozialismus“ attraktiv ab.

Das Berg-Panorama, das den Wanderer in der hohlen Gasse von links und rechts grüßt, kann durchaus mit Wiedererkennungswert rechnen, wenngleich die Seilschaften des Vernichtungsinfernos noch nie in dieser regionalen Verdichtung auftauchten. In seiner ersten großen Sonderschau seit seiner Eröffnung 2002 türmt das NS-Dokumentationszentrum „Franken im Nationalsozialismus“ zum „braunen Bilderberg“ auf. Mit 400 (aus 15000 ausgewählten) Fotos, irgendwo zwischen Propaganda und privatem Antrieb entstanden, mit einem Medium also, das erst heute so richtig unsere Wahrnehmung lenkt und flutet. „BilderLast“ heißt der modellhafte Versuch, nur mit Bildmaterial den Auslöser für Unfassbares zu finden.

Der Schwabacher Faschingswagen, wo ein zynisches Witzchen über einen „Firmenwechsel“ gemacht wird, der „braune Franken-Zar“ Julius Streicher, der ein BDM-Mädel väterlich die Wange tätschelt, die Braut im Nürnberger Rathaus, die statt des Bräutigams einen Stahlhelm neben sich hat, der spätere Propagandaminister Joseph Goebbels 1927 im Bayreuther Trainingslager. Dazwischen rechte Arme, wohin man schaut, der „Hesselberg“ als Wallfahrtsort eines „Volksfestes“, brennende Bücher, rauchende Synagogen und – sieben Jahre später – fränkische Ruinen der „Weltherrschaft“.

Zu was Menschen fähig sind

Es sind kaum Momente des gefrorenen Schocks oder hemmungslosen Jubels, die einem begegnen. Man muss den Kontext mitdenken, beim Pferdekopf mit einsamem Soldatenstiefel, den Gestalten, die auf einem Lastwagen zusammengetrieben werden, den disziplinierten „Volksgenossen“ im Luftschutzbunker. „Es ist alles viel banaler und abstoßender, als man es sich vorstellen kann,“ lautet denn die Erkenntnis des Historikers Eckart Dietzfelbinger, der nach zwei Jahren vorbereitendem Wühlen in Privat- und Stadtarchiven diese Ausstellung mit Hans-Christian Täubrich realisierte. Das Böse war banal, rigoros und schnell, was die Gleichschaltung anging. Jonglierte mit Verrat und Kamerad, konnte also mit allzumenschlicher Herdentriebhaftigkeit rechnen: „Man kann sehen, wozu Menschen unter bestimmten Bedingungen in der Lage sind zu tun; nämlich alles“, schlussfolgert Dietzfelbinger über das „politisch kriminellste System der menschlichen Geschichte“.

Unterwegs in den Schluchten der „Normalität“: Zwischen den Foto-Gerölllawinen in der monströsen Backstein-Kulisse blitzt aus dem mehrheitsfähigen Gesinnungssumpf immer wieder mal das Ungeheuerliche. Die harmlos illustrierte Postkarte etwa, die eigenes Heim gegen Erziehungsheim für „Schwachsinnige“ stellte und mit gesundem Volksempfinden den „Euthanasie“-Boden bereitete: „Erbkranke fallen dem Staat zur Last“.

Einer von zehn Themenblöcken, die das „strukturelle Rückgrat“ bilden. Auf flammendem Nazi-Rot flankieren nüchterne Fakten aus 18 Städten und Regionen eine „mentale Machtergreifung“, die in Franken schon lange vor 1933 eingeleitet wurde. In Westmittelfranken, wo die lutherische Kirche und Bauern frühzeitig auf Hitler einschwenkten, in Nürnberg, wo Streichers Hass-Geblöke sich „wie eine braune Decke“ über alles breitete. „Volk in Bewegung“, „Partei und Staat“, „Ausgrenzung und Antisemitismus“ und „Krieg“ – die Schlaglichter aufs eigentliche Nazi-Regime könnte man „mühelos auf jede andere Region in Deutschland übertragen“, meinen die Ausstellungsmacher. Jetzt, wo die „Reibungsflächen“ der Zeitzeugengeneration verschwinden, halten sie die Zeit für gekommen. Womöglich auch auf die Lernfähigkeit hinzuweisen, auf die blinde Sehnsucht nach willigen Sündenböcken und korrupten Erlöserfiguren. So dürften auch italienische Besuchergruppen in dieser Ausstellung, die attrativ ist, aber nicht überwältigt, nach dem neuesten Wahl- Ergebnis passende Anregungen finden.

Andreas Radlmaier

NS-Dokumentationszentrum (Bayernstr. 110): ab Freitag bis 12. Oktober, Mo-Fr 9-18 Uhr, Sa/So 10-18 Uhr. Das vorzügliche Katalogbuch kostet 8 Euro

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