Imposanter Stratege
Philharmoniker-Chef Christof Prick bei seinem Nürnberger Mahler-Debüt mit der »Dritten« gefeiert
Die Bühne der Meistersingerhalle war wegen Überfüllung geschlossen: Damen-Abteilungen von drei Chören (Hans-Sachs-Chor, Uni-Kammerchor, Schola Cantorum Leipzig) und ein seitlich fürs qualifizierte Junioren-„bim-bam“ angebauter Kinderchor rückten auf den Stufen vor den Orgelpfeifen zusammen. Davor die verstärkten Philharmoniker, die nach längerer Denkpause den Weg zurück zum Phänomen Gustav Mahler suchten. Knapp 300 Aktive für ein unmäßiges Werk, das schon wegen seines verschwenderischen Umgangs mit personellen Ressourcen, sicher auch wegen der bei Interpreten wie Zuhörern kreislaufbedrohenden Wechselbad-Dramaturgie weiterhin zu den Raritäten zählt.
Für Chefdirigent Christof Prick war es das Nürnberger Mahler-Debüt, aber er dürfte weltweit wenig Konkurrenz darin haben, das hochkomplexe 100-Minuten-Monster freihändig zu lenken. Keine Partitur, ständige Detailsignale hinein ins Kollektiv – und am Ende das schleichende Gefühl, die auf so stabiler Basis gut möglichen Kühnheiten einer Interpretation verpasst zu haben.
Er beginnt mit greller Stimmungsfärbung
Die naturbelassen „dumpfe Regungslosigkeit“, die der Komponist als geheimnistrunkene Erwartung vorschreibt, ist bei Prick von Anfang an in Strategie gebettet. Er beginnt mit greller Stimmungsfärbung, in der die Querschläger, die den inneren Zirkel der Inspiration gedankensprudelnd einkreisen, weniger anmaßend grotesk als homogen ergänzend wirken. Das setzt sich in den Naturbildern, den oft hart an der Karikatur entlang schrammenden Idyllen-Hörspielen, fort. Das Hereindrängen fremdbestimmter Klangwelten, die in Mahlers Zitatenschatzgräberei ihre eigene Soundmobbing-Logik hat, schirmt Prick vor dem Anarchisten-Trieb ab. Der Dirigent entwickelt große, schlüssige Einheit, in der alles schön fließt. Übers trocken-sachlich gelenktes Misterioso in einen nicht unmäßig „keck im Ausdruck“ angelegten Vokalsatz (die glänzende Mezzosopranistin Alexandra Petersamer zauberte am „Wunderhorn“) und hineingleitend ins innigste Pathos, das phasenweise wie eine Trainingseinheit für den bevorstehenden „Lohengrin“ wirkte.
Pricks abgeklärte Mahler-Meisterei – leichtfüßiger als bei Giersters schwerblütigen Deutungen, weniger elegant als beim abgründig tänzelnden Auguin und längst nicht so aggressiv aufstampfend wie bei Kloke – ließ das Opernhaus-Orchester wieder mal imposant dastehen. Der bravogesättigte Jubel war wohl noch mehr Respekt als Begeisterung.
Dieter Stoll
- Themen: