Impfung gegen Grippe: Kleiner Piks für alle?
München - Eva Münch aus Starnberg ist verzweifelt: Schon weit im Voraus habe sie sich für eine Grippeschutzimpfung angemeldet, berichtet die 67-Jährige der AZ. "Ich bin Risikopatientin und habe Asthma", sagt Münch. Doch kurz vor der Auslieferung erhält sie die Auskunft: In absehbarer Zeit sei keine Impfung möglich, frühestens in sechs bis acht Wochen.
"Ich habe sämtliche Hausärzte und Apotheken abtelefoniert, doch nirgendwo war ein Termin zu bekommen" - weil der Impfstoff fehle, so die 67-Jährige. "Jetzt stehe ich überall auf der Warteliste. Das ist doch ein Witz!" So wie Eva Münch geht es derzeit vielen, auch Risikogruppen, die auf ihre wichtige Grippeschutzimpfung warten. Ärzte und Apotheken berichten immer wieder von Engpässen im Freistaat.
Bundesgesundheitsminister Spahn wirbt für Grippe-Impfung
Die Ankündigungen waren groß: Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums wurden in Deutschland 26 Millionen Dosen Influenzaimpfstoff für die Saison 2020/21 bereitgestellt. "So viele Impfdosen standen noch nie zuvor in Deutschland für die Grippeimpfung zur Verfügung", sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Das seien fast doppelt so viele wie in der vergangenen Saison mit 14 Millionen Dosen verimpft wurden. Lediglich vereinzelt könne es zu Lieferengpässen kommen, erklärte er weiter.
Spahn warb eindringlich für die Impfung, ebenso das Robert-Koch-Institut - auch mit Blick auf die Corona-Pandemie. Eine Überlastung des Gesundheitssystems sollte verhindert werden. Medienwirksam ließen sich auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Münchens OB Dieter Reiter (SPD) piksen.
Die Impfstoffe werden zumindest zeitweise knapp
Fällt dem Gesundheitsministerium diese Werbung nun auf die Füße? Zumindest berichten Ärzte und Apotheker von einem regelrechten "Run" auf die Grippeschutzimpfung - sowohl bayernweit als auch in München. Axel Heise, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB) sieht einen klaren Zusammenhang zwischen der hohen Grippeimpfstoff-Nachfrage und der Corona-Pandemie. Die Sensibilität in der Bevölkerung sei höher. Und auch in München macht sich das bemerkbar: "Wir impfen dieses Jahr vier- bis fünfmal so viel wie normalerweise", berichtet Allgemeinmediziner Markus Frühwein, der eine Praxis in der Brienner Straße hat.
Die Folge: Die Impfstoffe werden zumindest zeitweise knapp. "In den vergangenen Wochen hatten wir immer etwa 50 Beschwerden pro Woche durch Ärzte aus unseren Mitgliederkreisen", sagt Heise der AZ. "Zurzeit ist der Grippeimpfstoff nicht immer in der gewünschten Menge vorhanden", bestätigt auch der Sprecher des Bayerischen Apothekerverbands Peter Sandmann. Da immer wieder Impfstoffe nachkommen, sei zu hoffen, dass zumindest alle Risikopatienten geimpft werden können.
Bayern bunkert 550.000 Dosen des Impfstoffs zusätzlich
Ähnlich ist die Lage in München: "Die erste Lieferung haben wir Anfang Oktober bekommen und verimpft", erzählt die Schwabinger Hausärztin Kerstin Hindringer-Wissing der AZ. "Als wir die erste Lieferung bei den Apotheken nachbestellen wollten, hieß es, die hätten selbst noch keine neuen Chargen bekommen."
Central-Apotheke am Stachus wartet auf Lieferung
Immer wieder gebe es Lieferengpässe. Die Influenzaimpfung werde für die Monate Oktober und November empfohlen und sei auch im Dezember noch sinnvoll. Schon jetzt fehlt jedoch der Impfstoff. Auch Marcel Becker von der Central-Apotheke am Stachus sagt: "Aktuell warten wir immer noch auf 1.000 Dosen." Die Nachfrage sei dieses Jahr stark gestiegen - "aus Angst vor eventuellen Ansteckungen und der allgemeinen Sensibilisierung während der Coronazeit", so Becker weiter.
Doch wie lässt sich das Problem im Freistaat lösen? Das Bayerische Gesundheitsministerium hatte bereits im Oktober mitgeteilt, dass man für die diesjährige Saison 550.000 zusätzliche Impfdosen gekauft habe und damit rund ein Drittel mehr Impfungen garantieren könne als in vergangenen Jahren.
Primär sollen sich Risikogruppen impfen lassen
Der Vorstand der KVB sieht die Krankenkassen in der Verantwortung. Diese hätten den Sicherstellungsauftrag und müssten auf eine schnellere Verfügbarmachung der vorhandenen Impfdosen drängen. Der Verband der Ersatzkassen (Vdek) in Bayern weist jedoch die Vorwürfe, man habe sich nicht genug für diese sogenannte Bayernreserve eingesetzt, vehement zurück. Der Vdek sei frühzeitig aktiv auf das Ministerium zugegangen und habe das Gespräch gesucht, heißt es auf AZ-Anfrage.
Als erste Hilfsmaßnahme empfiehlt die KVB, den Schwerpunkt der Impfungen gemäß der Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts auf Menschen mit erhöhtem Risiko zu setzen.
Das Grundproblem für die Engpässe sehen Ärzte und Krankenkassen an höherer Stelle - nämlich beim Bundesgesundheitsministerium. Dass Minister Spahn Versorgungsengpässe bei Impfstoffen abwiegelte und - zunächst - signalisierte, eine Impfung sei für jeden problemlos möglich, sorgt für Unmut. Seitens der Politik moniert die KVB, sei nicht klar genug kommuniziert worden, dass sich primär Risikogruppen impfen lassen sollen. Die Ankündigung aus der Politik hätten zu einem "Run" auf die Praxen geführt, heißt es in einer Mitteilung. In Wahrheit reiche die Impfstoffmenge aber nicht für ein Drittel aller Menschen in Deutschland.
Nur 6,5 Millionen Dosen zusätzlich - "das geht sich nicht aus"
Allgemeinmediziner Frühwein rechnet vor: Bei circa 80 Millionen Deutschen seien gewöhnlich circa 25 Millionen Impfdosen freigegeben. Nun kämen aber nur 6,5 Millionen zusätzliche vom Bund. "Ich glaube, es braucht keine Raketenwissenschaft, um zu sagen: Das geht sich nicht aus", so der Arzt. Hinzu kommt laut KVB, dass ein Großteil der zusätzlichen Impfdosen bereits reserviert ist.
Auch der Vdek sagt: Die ausgegebene Devise "Es können sich alle impfen lassen" sei angesichts der Impfstoffmenge problematisch. Der Verband sagt auch, dass zwar von einer erhöhten Nachfrage ausgegangen, das Ausmaß jedoch unterschätzt wurde.
Hinzu kommt ein Problem, das bereits vor Corona Engpässe begünstigte: Regressansprüche durch die Krankenkasse, sagt Mediziner Frühwein. Die Ärzte seien für die Bestellung der Impfstoffe verantwortlich. Bestelle ein Arzt zu viel, könne ihm Unwirtschaftlichkeit vorgeworfen werden und die Krankenkasse können finanzielle Ansprüche stellen. Deshalb bestellten die Ärzte sehr vorsichtig, so Frühwein. Allerdings hatte Minister Spahn angekündigt, dass Ärzte in der diesjährigen Saison mehr Impfstoffdosen bestellen können als sonst, ohne Regressforderungen fürchten zu müssen.
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