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Erlanger Wissenschaftler untersucht äußere Einflüsse auf die Anzahl der Gewaltdelikte in Mittelfranken. Noch ein Ergebnis: Hohes Ozon lässt die „Schelln-Dichte“ ansteigen.
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Dr. Udo Reulbach hat Körperverletzungsdelikte in Mittelfranken von 1999 und 2005 in ordentliche Kurven verwandelt.
Susi Will Dr. Udo Reulbach hat Körperverletzungsdelikte in Mittelfranken von 1999 und 2005 in ordentliche Kurven verwandelt.

Erlanger Wissenschaftler untersucht äußere Einflüsse auf die Anzahl der Gewaltdelikte in Mittelfranken. Noch ein Ergebnis: Hohes Ozon lässt die „Schelln-Dichte“ ansteigen.

ERLANGEN/NÜRNBERG Könnte der Wetterbericht für die Einsatzplanung der Polizei bald wichtig sein? Wenn es nach der bislang unveröffentlichten Studie des Epidemiologen Udo Reulbach (35) von der Uni Erlangen geht, schon. Denn die epidemiologische Erhebung zu Gewaltdelikten in Mittelfranken kommt auch zu diesen Schlüssen: Bei höheren Ozonwerten und Temperaturen wird öfter zugeschlagen; Wind besänftigt den Gewalttäter; Regen wirkt sich nicht auf die Zuschlags-Häufigkeit aus.

Was kurios klingt, hat einen seriösen, wissenschaftlichen Hintergrund. Projektleiter Reulbach und Dr. Teresa Biermann (Arbeitsgruppe Prof. Dr. Stefan Bleich) versuchten von 1999 bis 2005 Gründe für Fälle von schwerer, gefährlicher oder vorsätzlicher Körperverletzung zu finden. Über Hintergründe wie soziales Umfeld, schulische Laufbahn, Alkoholkonsum, wirtschaftlichen Background, Traumatisierungen in der Vergangenheit hat Udo Reulbach, Arzt an der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik der Uni Erlangen, zwar eine Meinung. Die aber war in dieser Studie nicht gefragt.

Es ging um andere Auslöser.

Die Fehlerquote liegt bei weniger als einem Promille

Und da half die Polizei Mittelfranken mit. Von 1999 bis 2005 erhielten die drei Forscher Informationen über jedes angezeigte schwere Körperverletzungs-Delikt, daneben das Alter von Täter und Opfer, die Geschlechter, Zeitangaben, Tatorte. „Die Daten sind vollkommen anonym", so Reulbach. Über 23000 Körperverletzungs-Delikte wurden untersucht.

Eine Frage, der die Forscher nachgingen, war die nach einem saisonalen Muster. Und sie stießen klar auf eines: Im Frühjahr und Frühsommer stieg die Zahl der Delikte an - wie auch die Zahlen der Suizide. Sie konnten nicht nur den Wochentag mit der höchsten „Schelln-Dichte" in Franken ausmachen – es ist die Nacht von Samstag auf Sonntag und am schlimmsten an Silvester – sondern auch die Tageszeiten, an denen Gewalttäter besonders häufig zuschlagen: bis Mitternacht ansteigend, dann abflauend. Sogar den Tag mit der geringsten statistischen Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Gewalttäters zu werden, errechnete das Forschertrio: Es ist immer der Mittwoch.

„Es ist noch ein Experiment, doch anhand der Studie können wir beispielsweise vorhersagen, an welchen Tagen im nächsten Jahr die Zahl der Delikte steigen wird." Konkreter allerdings geht es nicht. „Wir können nicht sagen, dass es am 4. April 2010 in Roth zu schweren Körperverletzungen kommt", so Reulbach. Auch um hier ins Detail gehen zu können sei eine flächendeckende, wenn nicht sogar europaweite Studie vonnöten.

Verblüffend sind die Auswirkungen des Wetters auf die Gemüter, besonders augenfällig ist das beim Ozonwert. Steigt der, wird auch mehr gekloppt. „Und zwar signifikant", so Reulbach. „Jeder kennt das Gefühl: Es ist schwül - hohes Ozon -, man steht im Stau und hat das Gefühl, der Vordermann spinnt doch. Oder man selbst hat eine ganz geringe Reizschwelle." Doch verblüffender ist, dass die Studie selbst dann stimmt, wenn der Mensch einen hohen Ozonwert überhaupt nicht bemerkt. „Das ist auch im Winter an einem Tag mit hohem Ozon so, und da empfindet man das Wetter nicht als drückend." Die Fehlerquote bei dieser Berechnung liegt bei weniger als einem Promille.

Ein Doktorand der Mathematik hat geholfen, diese Strukturen in mathematische Formeln und in Kurven darzustellen. So auch im Stundenrhythmus: Von 1999 bis 2005 gleichen sich die Kurven beinah aufs Haar: Bis Mitternacht steigt sie, dann fällt sie.

Am Wochenende drehen vor allem die Jungs auf

Die Täter wurden nach Geschlechtern kategorisiert. Dabei fällt auf: Von Montag bis Freitag ist die Aggressivität bei Jungs und Mädchen fast gleich. Am Wochenende aber drehen vor allem die Jungs auf. Ob die Jugendlichen gewaltbereiter wurden, wagt der Wissenschaftler nicht einzuschätzen: „Da greifen unsere Daten zu kurz."

Auch der 15-Jährige aus Fürth, der grundlos einen 34-Jährigen in der U-Bahn am Klinikum Fürth krankenhausreif prügelte, wäre als anonymisiertes Delikt in Reulbachs Studie gelandet. Dass es mehr braucht für die Eindämmung von Gewalt als Zusammenhänge um Ozon oder Tageszeiten, weiß der Wissenschaftler natürlich.

„Die Gewalt", sinniert Reulbach, „ist ein komplexes Thema. Gerade bei Jugendlichen spielt die berufliche und wirtschaftliche Perspektive eine große Rolle. Dazu gehört, ob ein Wertesystem vermittelt wurde, welchen Stellenwert das Kind in der Familie hat. Alkohol und andere Drogen sind ein wesentlicher Faktor." Was für Reulbach nicht gilt: „Die Begründung, traumatisiert worden zu sein. Das passiert auch anderen Menschen – nur schlagen die deshalb nicht zu."

Übrigens: Die Tatsache, dass heute der 13. ist, spielte keine Rolle.

Susanne Will

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