"Immer mehr Gymnasiasten betrinken sich"
Am Alexanderplatz in Berlin finden Passanten kurz vor Mitternacht einen völlig betrunkenen Schüler (3,95 Promille). Der 16-jährige Gymnasiast aus Mittelfranken war auf Klassenfahrt....
Berlin/Wolframs-Eschenbach Der Gymnasiast aus dem kleinen Ort Wolframs-Eschenbach bei Ansbach lag sturzbetrunken auf dem Gehweg, ganz in der Nähe des Berliner Alexanderplatzes. Besorgte Passanten riefen den Rettungsdienst und die Polizei. Der Atemalkoholwert des 16-Jährigen betrug 3,95 Promille - der Gymnasiast hätte tot sein können. Über Alkolexzesse von Jugendlichen und die Regeln auf Klassenfahrten sprach die AZ mit Klaus Wenzel, Präsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands. Der 63-Jährige unterrichtete früher an einer Hauptschule in Schnaittach im Nürnberger Land.
AZ: Herr Wenzel, gilt auf Klassenfahrten ein generelles Alkoholverbot für die Schüler?
KLAUS WENZEL: Bis 16 Jahre ja. Die Bestimmungen richten sich nach dem Jugendschutzgesetz. Ab 16 Jahren wären die Lehrer gut beraten, das stufenweise zu regeln, da es ziemlich unrealistisch ist, dass die Jugendlichen gar keinen Alkohol trinken. Mit 16 dürfen sie aber natürlich noch keine scharfen Sachen trinken.
Was ist auf dieser Klassenfahrt nach Berlin schief gegangen? Auch wenn ich den Fall nicht kenne, befürchte ich, dass die Aufsichtspflicht verletzt worden ist. Ab 22 Uhr muss immer ein Erwachsener dabei sein. Auch ist es kaum wahrscheinlich, dass der Schüler sich in kurzer Zeit so volldröhnen konnte. Es gehört zum Erwachsenwerden dazu, dass die Schüler gewisse Freiräume bekommen, also, dass sie tagsüber auch mal ohne Erwachsene in Gruppen unterwegs sein dürfen. Allerdings sollten diese Zeiten eng getaktet sein. Von 20 bis 22 Uhr ist in Ordnung – von 16 bis 22 Uhr sicher nicht.
In vielen Schulen finden Klassenfahrten nur noch alle zwei Jahre statt. Scheuen die Lehrer die große Verantwortung? Der Hauptgrund dafür ist ein anderer: Es gibt viele Familien, die von Hartz IV leben, sie haben einfach das Geld nicht für eine Klassenfahrt und erfinden dann Ausreden, weil es ihnen unangenehm ist. Die Verantwortung der Schule beginnt damit, diese Familien nicht bloß zu stellen.
Sind Alkoholexzesse von Jugendlichen ein Problem der unteren Schichten? Nein, das ist Schichten-unabhängig. Wir stellen fest, dass heute immer mehr Gymnasiasten oder Schüler aus so genannten guten Familien über die Stränge schlagen. Auch in Abschlussklassen nehmen Alkohol-Exzesse zu.
Woran liegt das? Der Druck auf die Schüler hat erheblich zugenommen. So ein Besäufnis kann ein Befreiungsakt sein. Aber das ist alles keine Entschuldigung.