Ich will eine Identitätsfabrik

Matthias Henkel (47) ist neuer Chef der Nürnberger Museen. Im AZ-Interview spricht der Volkskundler über Bilder im Kopf und die Stadt im Herzen.
von  Abendzeitung
Wird im Hirsvogelsaal am Dienstag von OB Maly vorgestellt: Museumsdirektor Matthias Henkel.
Wird im Hirsvogelsaal am Dienstag von OB Maly vorgestellt: Museumsdirektor Matthias Henkel. © Berny Meyer

NÜRNBERG - Matthias Henkel (47) ist neuer Chef der Nürnberger Museen. Im AZ-Interview spricht der Volkskundler über Bilder im Kopf und die Stadt im Herzen.

In Berlin, wo er der Kommunikator der 17 staatlichen Museen von der Museumsinsel bis zur Nationalgalerie war, wurde der Nürnberg-Rückkehrer gefragt, ob er da nicht kleinere Brötchen backen müsse. Natürlich, habe er geantwortet, „müssen wir hier in Nürnberg kleinere Brötchen backen, damit die Drei im Weckla auch noch nach Wurst schmecken“. Seit dieser Woche ist Matthias Henkel, der bis 2001 fünf Jahre lang Pressechef am Germanischen Nationalmuseum war, Direktor der Städtischen Museen. Und will lieber übers Lächeln in seinem Gesicht als über mögliche Leichen im Keller von Vorgänger Franz Sonnenberger reden: „Das sozioökologische Umfeld ist schon mal sehr schön. Das merkt man mir ja auch, glaub’ ich, an“, sagt der 47-Jährige.

AZ: Herr Henkel, Sie geben nächste Woche ihren öffentlichen Einstand. Was werden Sie verkünden?

MATTHIAS HENKEL: Sicherlich wird es auch darum gehen, einen Einblick in meine Museumsphilosophie zu geben.

Die da wäre?

Zu den Kernkompetenzen des Museums – Sammeln, Bewahren, Erforschen und Präsentieren – Kommunizieren und Berühren als neue Hauptvokabeln mit einzuführen.

Geht es bei den Museen also künftig mehr um Verpackung als um Inhalt?

Ich werde auf Beides achten. Wenn man denkt, ich wäre „nur“ Marketingmann, liegt man völlig falsch. Das Kernholz des Henkels besteht aus einem mit großer Freude aktiven Sachkulturforscher, der über Ofenkacheln des Mittelalters promovierte, aber ebenso Dokumentarfilme und Marketing machte. Die Nürnberger Aufgabe gibt mir die Chance, alles miteinander zu verbinden.

Rechnen Sie mit Widerstand?

Wir sind ja in einer glücklichen Lage: Das Publikum ist uns treu. Wir sind mit 550000 Besuchern pro Jahr ein absoluter Kulturträger in der Stadt und auch darüber hinaus. Für die Nürnberger möchte ich eine Identitätsfabrik sein, nicht nur eine Rumpelkammer der Geschichte. Um es mit Joseph Beuys zu sagen: Das Museum ist ein Ort der permanenten Konferenz. In meiner Interpretation heißt das nichts anderes als: Man kommt mit den Objekten ins Gespräch, mit sich selbst und idealerweise miteinander.

Ist da ein großer Unterschied zum Ansatz Ihres Vorgängers, der vom „Museum als Bühne“ sprach?

Mir geht’s mehr darum, dass die Bilder im Kopf der Besucher entstehen und nicht nur auf der Netzhaut. Also: Über das Erlebnis zur Erkenntnis. Für mich als Volkskundler sind natürlich auch Menschen ganz wichtige „Exponate“, Quellen zur Geschichtserkenntnis.

Wird sich also das Erscheinungsbild der Museen stark ändern?

Wir werden uns entwickeln. Wie wir uns dabei verändern, wird man sehen. Da kann man nach 25 Stunden Dienst noch keine Skizze auf einem Bierdeckel von mir erwarten. Die Suche nach Depotflächen ist jetzt schon auf einem guten Gleis. Funktionale Depots sind unser Rückgrat – aber damit kann man keine Besucher begeistern. Interessant ist es natürlich, Themen zentrierter zu präsentieren, also in Sonderausstellungen.

Passende Flächen dafür sind von Doku-Zentrum bis Fembohaus aber Mangelware.

Da gilt es kreativ zu sein.

Sie wollen Erweiterungen?

Nennen wir es mal Entwicklung!

Neue Raumordnungen oder Zwischennutzungen?

Wie auch immer. Ein guter Gärtner bereitet immer erst den Boden, bevor er die Saat ausbringt. Oder um Tucher zu zitieren: Erst lesen, dann kühlen, dann zapfen.

Verschwindet etwa die Plattform der aktuellen hiesigen Kunst aus dem Fembohaus?

Das wird sich alles zeigen. Matthias Strobel vom KunstKulturQuartier und ich werden gemeinsam die Claims abstecken.

Haben Sie denn schon Leichen im Keller entdeckt?

Bis jetzt noch nicht. Obwohl ich schon den Generalschlüssel habe.

Sie reden schon von „unserer Heimatstadt“. Die Nürnbergisierung gelang ja blitzartig.

Ja, wenn es einen Grund gab, nach Nürnberg zu kommen, dann ist es der, dass man hier ein soziales Gedächtnis hat. Es ist für mich sehr rührend gewesen, was ich schon an Post nach Berlin bekam, als die Entscheidung bekannt wurde. Ich habe wirklich das Gefühl, nach Hause zu kommen.

Ist das wichtig?

...ja, absolut.

Es geht doch um die Karriere, oder?

Auch, aber nicht in erster Linie. Da spricht wirklich der Volkskundler in mir. Wenn man Menschen begeistern kann, dann läuft alles wie von selbst. Das ist im Arbeitsfeld genauso wie bei der Sponsoren-Akquisition. Es geht darum, authentische Konzepte zu entwickeln, maßgeschneiderte Projekte für Stadt, die Bürger und die Touristen.

Sie stufen Nürnberg als Kulturmetropole mit Defiziten ein. Ist die Stadt selbst schuld an diesem Zustand?

Dann würde man mich missverstehen! Mir geht es um die Selbstwahrnehmung dieser Stadt. Nürnberg ist – und da bin ich mir mit Peter-Klaus Schuster, meinem ehemaligen Chef in Berlin, sehr einig – eine der deutschen Städte, die stets große Bedeutung hatten. Das gilt es immer wieder herauszuarbeiten. Jetzt sind wir gerade auf einer wunderbaren Zielgeraden. Das NS-Dokuzentrum war seinerzeit ein Befreiungsschlag für den aufgeklärten Umgang mit der Geschichte des Nationalsozialismus. Das vor uns liegende Memorium Nürnberger Prozesse bildet den programmatischen Brückenschlag in die Gegenwart als Stadt des Internationalen Menschenrechtspreises.

Bildet das geplante Münchner NS-Dokuzentrum eine bedrohliche Konkurrenz für Nürnberg?

Konkurrenz belebt immer das Geschäft. Wir werden uns keinesfalls auf den Lorbeeren ausruhen und wir werden auch kooperieren. Am Ende geht es darum, Nürnberg als Kulturmetropole zu stärken und zusätzliche Besucher anzuziehen. Es gibt hier alles. Wir wollen zeigen: Nürnberg ist einfach eine Reise wert.

Finanziell sind die Museen nicht auf Rosen gebettet.

Ich habe bisher noch keinen Kulturbetrieb erlebt, der meint, auf Rosen gebettet zu sein. Es würde mich eher erschrecken, wenn mir das jemand so sagen würde. Insofern bin ich es auch gewohnt, Dinge zu verkaufen, in positivem Sinne.

Sie teilen die Auffassung der Kulturreferentin, Nürnberg als Sitz des Dürer-Hauptquartiers zu festigen. Wie soll denn das gehen?

Die Dürer-Kompetenz muss in der Stadt Dürers natürlich mitten im Herzen verankert sein. Das Gute ist ja, dass wir mehrere Herzkammern haben: Dürer-Haus, Germanisches Nationalmuseum, Albrecht-Dürer-Gesellschaft, Kunstakademie, wunderbare Sammlungsbestände, die neu zu sichten sind. Das Thema Dürer hält die kunsthistorische Welt nicht nur im Innersten zusammen, sondern treibt sie auch auseinander, weil Dürer ein eigener Kosmos ist. Dieser Künstler wird uns noch in 100 Jahren Rätsel aufgeben..

Sie haben sich wissenschaftlich mit der Henkel-Tasse beschäftigt. Darf man daraus auf eine grundsätzliche Humorhaltung schließen?

Ich ging in meinen Forschungen seinerzeit davon aus, dass das persönliche Trinkgeschirr am Arbeitsplatz etwas über den Menschen aussagt: Zeige mir deine Tasse und ich sage dir, wer du bist. Das habe ich als studentisches Forschungsprojekt an der Uni Göttingen entwickelt. Es stellte sich heraus: Es gibt wirklich eine Tassologie.

Und, lässt das nun Rückschlüsse auf Ihren Humor zu?

Ich hoffe doch! Ich nehme nichts leicht, bin sicher auch nicht leicht zu nehmen, aber ich versuche, Dingen immer eine eigene, gelegentlich kuriose Perspektive abzuringen. Schon Valentin wusste: Jedes Ding hat drei Seiten – eine positive, eine negative und eine komische. So will ich’s halten.

Interview: Andreas Radlmaier

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