Hungertod der 3-jährigen Sarah kommt ab Dienstag vor Gericht
NÜRNBERG - Die kleine Sarah aus dem fränkischen Thalmässing starb einen qualvollen Tod: Abgemagert auf fast die Hälfte ihres Normalgewichtes hatte die Dreijährige zuletzt verzweifelt versucht, ihren Hunger mit dem Zellstoff ihrer Einmalwindeln zu stillen.
Am 10. August 2009 erlag das Mädchen in einer Nürnberger Klinik seiner starken Unterernährung. Vor dem Nürnberger Schwurgericht beginnt am Dienstag (19. Oktober) der Prozess gegen ihren Vater. Ursprünglich waren er und seine Frau gemeinsam wegen Mordes und Misshandlung von Schutzbefohlenen angeklagt. Das Verfahren gegen die schwerkranke 27-Jährige wurde allerdings am Freitag vorübergehend eingestellt. Nun muss sich der 30-jährige Lastwagenfahrer allein vor Gericht verantworten.
Laut Staatsanwaltschaft hatten Sarahs Eltern schon lange vor ihrem Tod damit aufgehört, ihr Kind ausreichend zu versorgen. Im Alter von zwei Jahren habe Sarah noch nicht laufen können, seit April 2009 soll sie dann in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken ihrer Eltern auch nicht mehr genügend Nahrung bekommen haben. Obwohl sich der Zustand der Dreijährigen stark verschlechterte, hätten ihre Eltern darauf verzichtet, einen Arzt aufzusuchen. Damit wollten die beiden verhindern, strafrechtlich verfolgt zu werden, wie der Vorwurf lautet. Erst als das Mädchen, auf rund acht Kilogramm abgemagert, am Abend des 8. August 2009 kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben hatte, verständigten sie einen Notarzt. Dieser ließ die Kleine in ein Krankenhaus nach Nürnberg einliefern, wo sie zwei Tage später starb.
Inhalt des Prozesses wird auch sein, das Motiv der Eltern zu ergründen. Denn beide zogen auch den älteren Bruder von Sarah groß, der aus einer früheren Beziehung der 27-Jährigen hervorging. Der ein Jahr ältere Dominik wurde – im Gegensatz zu seiner Schwester - vollkommen normal ernährt und entwickelte sich gut. Seit der Inhaftierung seiner Mutter und ihres Ehemannes lebt er bei den Schwiegereltern der Angeklagten.
Anzeige gegen das Jugendamt
Im Zuge ihrer Ermittlungen hatte die Staatsanwaltschaft vorübergehend auch das Rother Jugendamt im Visier, nachdem eine Anwältin Anzeige gegen Verantwortliche der Behörde wegen Beihilfe zum Mord erstattet hatte. Die Familie stand jahrelang unter der Obhut des Jugendamtes, allerdings hatte zuletzt 2008 ein Mitarbeiter die Familie besucht. Anzeichen für eine Vernachlässigung der Kinder habe er damals nicht ausgemacht, hieß es. Im April 2010 teilte die Staatsanwaltschaft schließlich mit, das Verfahren gegen die Behörde eingestellt zu haben. Es hätten sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass dem Jugendamt die Unterernährung von Sarah bekannt gewesen sei.
Ob Sarahs Vater vor Gericht aussagen wird, ließ sein Verteidiger Jochen Horn auf Anfrage offen. Bei der Polizei hatte der 30-Jährige nach anfänglichem Schweigen erklärt, vom schlechten Zustand seiner Tochter nichts mitbekommen zu habe, da er wegen seines Berufes ständig unterwegs gewesen sei. Sarahs Mutter hatte dagegen ausgesagt, wegen ihrer eigenen schweren Erkrankung einen "Tunnelblick" entwickelt zu haben. Sie habe alles um sich herum ausgeblendet. Letztlich sei ihr alles egal geworden.
Vor Gericht wird die 27-Jährige vorerst keine Stellungnahme abgeben müssen: Die Schwurgerichtskammer stellte das Verfahren gegen sie am Freitag vorläufig ein. Die Frau sei aufgrund ihrer schweren Erkrankung auf nicht absehbare Zeit verhandlungsunfähig, teilte die Justizpressestelle mit. Ein aktuelles Gutachten habe ergeben, dass sie derzeit nicht in der Lage sei, einer mehrstündigen Hauptverhandlung zu folgen. Zudem bestehe jederzeit die Gefahr lebensbedrohlicher Veränderungen ihres Gesundheitszustandes während des Prozesses.
Wegen ihrer Erkrankung war die 27-Jährige zum Zeitpunkt von Sarahs Tod in ein Krankenhaus eingeliefert worden und lag nach einer Notoperation mehrere Tage im Koma. Mit Rücksicht auf ihren Gesundheitszustand hatte das Gericht vorgesehen, die Verhandlung auf vier Stunden pro Tag zu begrenzen. Daran soll auch festgehalten werden. Daher sind weiterhin sechs Verhandlungstage mit über 30 Zeugen und Sachverständigen eingeplant. Mit einem Urteil wird am 18. November gerechnet.
dpa
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