Interview

Humedica in Beirut: "Wie im Krisengebiet"

Die Humedica-Helfer aus Bayern sind in Beirut. So viel Leid hat sie dort noch nie gesehen, sagt eine Münchnerin der AZ.
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Rosemarie Vielreicher
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Russische Sanitäter untersuchen einen syrischen Buben (6), der bei der Explosion verletzt worden ist.
Marwan Naamani/dpa 2 Russische Sanitäter untersuchen einen syrischen Buben (6), der bei der Explosion verletzt worden ist.
Tatjana Bojarski von "Humedica".
ho 2 Tatjana Bojarski von "Humedica".

AZ-interview mit Tatjana Bojarski: Sie ist 33, kommt aus München und koordiniert für die bayerische Hilfsorganisation Humedica den Libanon-Einsatz. Nächste Woche werden zwei weitere Helfer nach Beirut fliegen. Spenden kann man hier.

Tatjana Bojarski von "Humedica".
Tatjana Bojarski von "Humedica". © ho

AZ: Frau Bojarski, die Aufnahmen und Videos von Explosion und Zerstörung sind furchteinflößend. Wie ist es direkt vor Ort – noch schlimmer?
TATJANA BOJARSKI: Wir waren zutiefst erschüttert, als wir das Ausmaß der Explosion gesehen haben. Man hat das Gefühl, in einem Kriegsgebiet zu stehen. Unser Team, das aus Libanesinnen und Libanesen besteht, hat zum Teil bei der Explosion Freunde und Verwandte verloren. Für sie war der Anblick besonders ergreifend.

Wie geht es den Menschen gerade?
Ich lebe seit zwei Jahren im Libanon und in dieser Zeit gab es mehrere Krisen, mit denen das Land zu kämpfen hatte. Niemals zuvor habe ich so viel Trauer und Verzweiflung in den Gesichtern der Menschen gesehen. Wir haben mit einer älteren Frau gesprochen, die ihr ganzes Leben in ihrer Wohnung in Gemmayzeh gewohnt hat. Durch die Explosion ist die komplette Außenwand ihrer Wohnung weg und von ihren Möbeln nur noch ein Trümmerhaufen übrig. Feuerwehrleute mussten sie aus dem Gebäude evakuieren. Sie ist eine der Tausenden Menschen, die jetzt ohne Heimat sind.

Welche Aufgaben übernimmt Humedica konkret?
Wir waren mit unserer Mobilen Klinik vor Ort, um Verletzte zu behandeln. Der Verlust von Freunden, Familie und einem Zuhause geht an die psychische Substanz der Betroffenen. Daher steht unsere Psychologin bereit und bietet unter anderem psychologische Erste Hilfe für Betroffene an. Wir werden den Wiederaufbau von Kliniken unterstützen und diese mit notwendigem medizinischen Material sowie Artzney und Schutzkleidung ausstatten. Zudem bieten wir Notunterkünften unsere Hilfe durch beispielsweise Hygiene-Kits, Lebensmittel und Wasser an und unterstützen die Aufräumarbeiten mit Reinigungsmaterial.

Was wird am dringendsten benötigt?
Im Prinzip fast alles. Die vielen Menschen, welche ihr Zuhause verloren haben, brauchen ein Dach über dem Kopf, ein Bett zum Schlafen, Nahrungsmittel, Hygiene-Kits und alles Grundlegende, um in Würde dieser enormen Herausforderungen entgegentreten zu können. Jetzt geht es auch um den Wiederaufbau dieser wunderbaren Stadt und darum, den Menschen wieder ein Zuhause zu bereiten und die Infrastruktur wiederherzustellen. Daher brauchen die Menschen finanzielle Hilfen, um ihre Wohnungen zu reparieren – Türen, Fenster und eingestürzte Wände einzubauen und teilweise ganze Gebäude neu zu errichten.

Auch ein Kornspeicher ist zerstört worden.
Die Explosion fand am Hafen Beiruts statt, wo unter anderem Getreide und Artzney gelagert wurden. Jetzt befinden sich dort nur noch Trümmer. Ob und was noch übrig ist, wird gerade ermittelt, aber schon jetzt zeichnet sich eine besorgniserregende Knappheit ab.

Wie sehr treibt die Menschen um, was die Ursache war?
Natürlich möchten diese besser verstehen, wie es zu dieser schrecklichen Katastrophe gekommen ist und verlangen eine baldige Aufklärung. Die libanesische Regierung hat eine Untersuchungskommission gegründet und angekündigt, so bald wie möglich erste Ursachenberichte vorzulegen.

Wie schwierig ist die Versorgung von Verletzten – gerade in der Corona-Pandemie?
Umstehende Krankenhäuser und mehr als zehn Kliniken wurden von der Explosion getroffen und Patienten mussten evakuiert werden, in einer Zeit, wo das Gesundheitssystem durch die Covid-19-Pandemie schon an seine Grenzen stößt. Corona ist im Libanon nach wie vor eine Realität und Infektionszahlen sind in den letzten Wochen wieder angestiegen. Daher ist es wichtig, dass bei der Behandlung infektionspräventive Maßnahmen eingehalten werden.

Lesen Sie hier: Libanons Gesundheitsminister kündigt Premier-Rücktritt an

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