Harry Potters Tanzlehrer
NÜRNBERG - Angekommen: Bravos für die Ballett-Revue „Romeo und Julia“ von Goyo Montero.
Wer die große Wende vom Nürnberger Staatstheater erwartete und bislang immer noch unzufrieden war, der kann nun nicht mehr meckern: Goyo Montero, der spanische Tänzer und Choreograph, hat als neuer Opernhaus-Spartenchef die steile Kurve vom Tanztheater zurück zum Ballett elegant geschafft. Nicht ganz schwindelfrei, denn seine Inszenierung des Allzeit-Klassikers „Romeo und Julia“ im Rückenwind der Musik von Sergej Prokofjew setzt auf Tempo ohne Limit. Die dunkle Poesie, die wie ein dekorativer Schleier über die Aufführung drapiert ist, weht im Luftzug einer Runde und Runde rasenden Revue von Hochleistungsnachweisen. Imponierend, obwohl die Beschränkung auf die Hälfte der Einfälle vermutlich doppelt so viel Wirkung gebracht hätte. Stürmischer, lang anhaltender Beifall für eine Effekt-Ästhetik, die ziemlich genau das Gegenteil dessen ist, wofür Kopfarbeiterin Daniela Kurz hier ebenso heftig gefeiert wurde.
Man darf davon ausgehen, dass jeder Theaterbesucher die berühmteste Lovestory seit Adam und Eva kennt, und sei es aus Kino oder Musical. Also kann Goyo Montero für seine nahe an der Vorlage bleibende Nacherzählung eine zusätzliche Figur zur Vertiefung der Geschichte erfinden. Oder – was er lieber tut – zu ihrer Vereinfachung. Denn dieser Mab, der in Shakespeares Text nur als poetischer Querverweis ohne Gesicht auftaucht, wird zum personifizierten Schicksal. Rafael Rivero als schwarzer Magier, womöglich Harry Potters Tanzlehrer Snape aus Hogwarts, der alle Figuren zielsicher ins Unglück lenkt – nicht ohne William im O-Ton geraunt zu haben.
Dieser Kunstgriff hebt das Drama über psychologische Entwicklungszwänge hinweg und stellt die Kolportage als außerirdische Behauptung hin. Alles Fügung, alles Manipulation. Da gerät der vernichtende Krieg der Sippen, der sonst die Tragödie bis zum bitteren Ende mit Treibstoff versorgt, in den Hintergrund und wird nur als Anlass für kurzweilige Szenen-Turbulenz aufgerufen. Zur tödlichen Rauferei, dem Domino-Effekt des Niedergangs, führen beeindruckende Stunts in phantasievoll aufgefächerter Gruppendynamik. Auf Kommando erstarrende Lebewesen, die sich artistisch umklammern und im Ballsaal wie Insekten aus Kostümpanzern schlüpfen.
Carlos Lázaro und Mathilde van de Wiele, vom Publikum sofort adoptiert, haben in den Titelrollen jugendlichen Überschwang besser drauf als Tragik, Artistik souveräner als die geradezu prüde weginszenierte Erotik. Jaione Zabala allerdings spielt die Zusammenfassung von drei Personen (Mutter, Amme, Vater) mit so viel hexendem Gefuchtel wie eine Almódovar-Domina. Der Mercutio von Saúl Vega ist schwebende Arroganz.
Das verstärkte, bestens trainierte Ensemble stürzt sich lustvoll ins choreographische Gefecht, das dem guten alten „Handlungsballett“ eine Etappensieg beschert. Perspektiven eher nicht, denn Multitalent Montero, auch für Bühne (Stahlgerüst an der Seite, mobile Kletterwände im Hintergrund) und Licht (viel Spotlight-Dramaturgie) mitverantwortlich, kippt eine prall gefüllte Wundertüte aller Möglichkeiten aus. Sortieren wäre die höhere Stufe der Kunst.
Philipp Pointner hat klug und kompetent aus Prokofjews maßloser Partitur einen Soundtrack-Extrakt ohne Hörsturzgefahr gezapft und mit den aufgekratzt Leuchtraketen durch Tuba-Sümpfe schießenden Philharmonikern umgesetzt. Als Ballett-Trampolin so tauglich wie als Konzert-Zugabe. Die Musiker durften zur Verbeugung mit auf die Bühne. Bravo, ein Doppelschlag!
Dieter Stoll
Aufführungen: 25./28.2., 7./15./21./29.3., 6./19.4. – Karten Tel. 0180-5-231600.
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