Gute Laune ist wichtig
NÜRNBERG - Warum Oper und Ballett neu sein wollen, das Schauspiel aber so kenntlich wie möglich - ein Blick auf den Saisonstart des Nürnberger Staatstheaters
Jetzt geht das ganze Theater also wieder los: Nachdem sich die Oper mit der Rückkehr von „Cosi fan tutte“ kleine, feine Vorgeplänkel erlaubte, steht die erste Premieren-Serie und damit der wahre Start in die neue Ära in allen Sparten an. Da hat das Sprechtheater von Klaus Kusenberg, im neunten Amts-Jahr aus dem Stammquartier vertrieben, zwei Nasen vorn. Erst nach der „Orestie“ (morgen) und „Des Teufels General“ (nächsten Freitag) ist das erste Opern-Großformat der Neuen vorzeigbar. „Benvenuto Cellini“ bzw. sein Schöpfer Hector Berlioz zählt zu den Favoriten des Konold-Nachfolgers Peter Theiler, der auf seiner persönlichen Aufarbeitungs-Liste der Unterschätzten die französische Oper gleich nach den Schatzgräbereien im Belcanto und dem nostalgischen Broadway-Shopping platziert. Das Schauspiel wird also im anderen Rahmen bleiben, wie es ist. In Oper und Ballett dürfte alles etwas anders werden. Soll es zumindest. Man will schnellstmöglich Eigen-Profil.
Es kann kaum Zufall sein, dass bei mehreren der erstmals antretenden Opernregisseure die Choreografie wie selbstverständlich als Ko-Beruf angegeben ist. Alles Tanz? Laura Scozzi etwa, die das ausufernde Künstler-Drama im Berlioz-Sound arrangiert und als Erläuterung ihres ästhetischen Konzepts „einen neutralen Blick auf die menschlichen emotionalen Bewegungen“ anführt. Gegenüber dem historischen Cellini empfindet sie „eine enorme Abneigung“, weil er „immer selbstzufrieden, unverschämt, hochmütig, ein Lästermaul, arbeitsscheu, prahlerisch, impulsiv, wollüstig und skrupellos“ war. Diesem Wonneproppen (siehe auch Interview mit dem Sänger der Titelrolle, der es etwas anders sieht) will sie mit einer „guten Portion Selbstironie und Humor“ beikommen, denn: „Gute Laune ist auch wichtig, im Grunde ist doch alles nur Spiel“. Womit der Weg zum Musical in einem denkbar kleinen Schritt tänzelnd geschafft wäre.
Cole Porters „Silk Stockings“ nach dem Lubitsch-Film „Ninotschka“ schlägt den Broadway-Ton an (den in Nürnberg allerdings schon vor Jahrzehnten Dick Price mit „Hallo, Dolly“ und „Mame“ vorübergehend erwischt hatte) und bringt ab 8. November das Ballett ins Spiel. Wer im Juli Kira Primke als „Fair Lady“ sah, wird sich auf ihre neue Rolle Freude. Von seiner Gelsenkirchener Aufführung hat Intendant Theiler die Sängerin Leah Gordon mitgebracht.
Im Gesamt-Spielplan bricht sich seine Vorliebe fürs Italienische energisch Bahn. Von neun Premieren kommen vier von dort – neben der „Aida“ (mit Jens-Daniel Herzog als prominentesten Saison-Regisseur) und Battistellis neuem Stück nach Fellini „Prova d’orchestra“ sind das die Zierpflanzen von Bellini („Die Puritaner“) und Donizetti ( „Dom Sébastien, Roi de Portugal“ als späte Deutschland-Premiere). Dazu kommen „La Bohéme“ und „Rigoletto“ als zwei der grade mal vier angekündigten Wiederaufnahmen von Konolds Reste-Rampe. Beide haben schon mehr als 50 Vorstellungen auf dem Buckel; dagegen soll es offenbar dabei bleiben, dass Wagners „Lohengrin“ und Tschaikowskys „Eugen Onegin“ nach ihren je fünf Vorstellungen im Premieren-Jahr in der neuen Ära keinen Spiel-Platz finden werden.
Über das Ballett und seine Bedeutung im Kontext wird vor Jahresende nichts zu sagen sein – erst da gibt es die Debüt-Premiere von Montero.
Das Schauspiel, wo Georg Schmiedleitner statt der erwarteten flotten Schnell-Version der „Orestie“ eine geduldige Auseinandersetzung mit der „unheimlichen Spannung“ des zeitlosen Stoffes inszenierte (die erste Durchlauf-Probe brachte es diese Woche auf sechs Stunden reine Spielzeit, aber das soll sich bis morgen noch ändern), muss die Neugier des Publikums auf Reizfluten über die Umbau-Zeit retten. Mit vielen Spielräumen, unkonventionellen Projekten (wie „Das Zeugenhaus“ nach Christiane Kohls Roman aus Erlenstegen), aber auch mit der Dauer-Grätsche zwischen Klassik („Maria Stuart“) und Zeitgenossen („Motortown“ von Simon Stephens), Show-Poesie („Piaf“ mit Chanson-Talent Elke Wollmann) und blanken Jux (die Herrenstrip-Schmonzette „Ladies Night“). Dass Albert Speer dank eines Textes von Esther Vilar („Der dressierte Mann“) in seine Kongresshalle zurückkehrt, ist uneinholbar die Groteske des Jahres. Dieter Stoll
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