Gustavs Eheglück mit seinem „Frollein Grete“
Mitten im Krieg heiratet der Quelle-Boss seine zweite große Liebe. Ein Jahr später kommt ihre Tochter Madeleine auf die Welt.
NÜRNBERG/FÜRTH Heute noch steht Gustav Schickedanz gelegentlich im Verdacht, während der Nazi-Zeit zur rachgierigen, skrupellosen Meute fränkischer Arisierungsgewinnler gehört zu haben. „Ich weiß darüber nichts“, sagt heute Arno Hamburger, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Nürnberg, „ich weiß nur, dass er von den Rosenfelders, unseren Nachbarn damals, die Vereinigten Papierwerke erworben hat. Von den Bedingungen ist mir nichts bekannt. Draufgezahlt wird er sicher nicht haben.“
Gustav Schickedanz hat die Familie Rosenfelder aber auch nicht unter Wert ausbezahlt – das hat die Spruchkammer in Nürnberg 1945 beim Entnazifizierungsverfahren des Konzern-Chefs festgestellt. Gustav Schickedanz hatte die Heroldsberger Papierproduktion samt ihrem bekanntesten Artikel „Camelia“ schon einmal im Jahr 1932 kaufen wollen, damals lehnte Rosenfelder ab. Bei der endgültigen Übernahme im Jahr 1935 zahlte Schickedanz den drei Jahre vorher vereinbarten Preis. „Angemessen“, befand später die Spruchkammer. Was nicht heißen soll, dass der Parteigenosse Schickedanz sich in die innere Emigration begeben hatte. Er lavierte sich durch die Tausend Jahre hindurch, paktierte da, wo es ihm für das Unternehmen nützlich und für die eigene Moral noch vertretbar erschien, spendete gelegentlich für die Parteikasse.
Der Unternehmer lavierte sich durchs Dritte Reich
Im kleinen Kreis artikulierte er gegen Ende der dreißiger Jahre auch schon einmal sein zunehmendes Unbehagen. Überliefert ist der Satz, den er im März 1938 zu seiner engsten Mitarbeiterin gesagt hat. Beim „Anschluss“ Österreichs ans Deutsche Reich vertraute er Grete Lachner an: „Ein alter Traum geht jetzt für Millionen in Erfüllung, auch für mich. Und dennoch habe ich Angst vor einem furchtbaren Erwachen.“
Heute äußert sich etwa der Nürnberger Historiker Alexander Schmidt über die möglichen Zwiespälte des Unternehmers so: „Vielleicht hat er, wenn man es für Gustav Schickedanz positiv interpretieren will, auch immer ernsthafte Zweifel am Regime gehegt und diese erst gegen Kriegsende mit anderen zu besprechen gewagt.“
Immerhin profitiert die „Quelle“ ganz deutlich von Hitlers Raubzügen in Europa. Nach der Einverleibung Österreichs und der gewaltsamen Besetzung der Tschechoslowakei gewinnt Schickedanz Hunderttausende neue Kunden aus den kassierten Ländern. In der Kartei, dem Herzstück des Unternehmens, waren weit über eine Million Stamm-Besteller registriert, Gustav Schickedanz beschäftigte in Fürth rund 600 Mitarbeiter. Zum Konzern gehörten inzwischen, neben den Vereinigten Papierwerken unter der Leitung seines Schwagers Daniel Kießling, die Fürther Humbser-Brauerei, die Weberei-Fabrikation Ignaz Mayer in Nürnberg, die Bettfedern-Fabrik Baum & Moosbacher in Frankfurt am Main.
Aus dem Mini-Unternehmen an der Fürther Moststraße, dem Geschäftchen für Knöpfe, Hosengummi & Co, ist ein weitverzweigter Multi-Konzern geworden. Da kündigte sich, an einem milden Spätsommertag, das „böse Erwachen“ an. Am 1. September 1939 fällt die deutsche Wehrmacht über Polen her, Hitler verkündet im Rundfunk seinen schauerlichen Anfang vom Ende: „Ab 5.45 Uhr wird zurückgeschossen.“
Die Schaltzentrale des Konzerns versinkt im Bombenhagel
Gustav Schickedanz flüchtet sich in sein privates Glück. Am 8. Juni 1942, im Alter von 47 Jahren, heiratet er seine zweite große Liebe im Leben, das damals 31-jährige „Frollein Grete“ in der Fürther St.Paul-Kirche. „An eine Heirat“, sagte Grete Schickedanz später, „habe ich nie gedacht. Ich war noch zu naiv. Und außerdem war ja noch die Tochter da. Die hat dann aber eines Tages, in der Weihnachtszeit, zu mir gesagt, warum heiratet ihr eigentlich nicht. Und dann haben wir 1942 geheiratet.“
Ein Jahr später, am 20. Oktober 1943, bringt Grete Schickedanz ihre Tochter Madeleine auf die Welt, im Luftschutzbunker der Nürnberger Frauenklinik. Die Freude der Unternehmerfamilie über die kleine Madeleine ist getrübt. Im selben Jahr fallen die ersten Bomben der alliierten Luftwaffe auf Nürnberg und Fürth. In der Nacht des 10. August heulen die Sirenen – Fliegeralarm.
Die Bomben treffen auch das „Quelle“-Gebäude in der Artilleriestraße. Am Morgen des 11. August kommt Gustav Schickedanz aus Hersbruck, dem einigermaßen sicheren neuen Wohnsitz der Familie und besichtigt die Schaltzentrale seines Konzerns. Viel gibt es nicht mehr zu besichtigen. Nur noch rauchende Trümmer, das Firmengebäude ist zu 90 Prozent eingeäschert.