Gurken gegen Einsamkeit

Das Theater Bruchstücke von Baris Karademir, das mit einem Fassbinder-Text recht erfolgreich war, hat für die neue Produktion im Gostner jetzt ein bisschen an Handke gedacht und dafür bei Kroetz gespickt.
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Ein karges Mahl in der Einsamkeit des „Feierabends“: Adeline Schebesch in der Aufführung im Gostner Hoftheater. Foto: GHT
az Ein karges Mahl in der Einsamkeit des „Feierabends“: Adeline Schebesch in der Aufführung im Gostner Hoftheater. Foto: GHT

NÜRNBERG - Das Theater Bruchstücke von Baris Karademir, das mit einem Fassbinder-Text recht erfolgreich war, hat für die neue Produktion im Gostner jetzt ein bisschen an Handke gedacht und dafür bei Kroetz gespickt.

Und wieder einmal führt uns das Theater schnurgerade hin zu einer der drängendsten Fragen unserer Zeit: Wer macht eigentlich das Licht im Kühlschrank aus? Im stummen Monolog „Feierabend“, wo Adeline Schebesch als Frau König im toten Winkel des Lebens ihren Single-Frust mit der „Wunschfunk“-Pomade des Lokalsenders bekämpft, bleibt am Ende nur die Überdosis Schlaftabletten – stilgerecht mit Piccolo zum Runterspülen. Dann sinkt die Nacht, es wird wieder Tag, der Radiowecker brüllt die nächste Portion gute Laune ins Zimmer, aber da, wo die Sprache bereits ausgestorben war, ist nun überhaupt kein Leben mehr. Nur das Licht im offenen Kühlschrank.

Das Theater Bruchstücke von Baris Karademir, das mit einem Fassbinder-Text recht erfolgreich war, hat für die neue Produktion im Gostner jetzt ein bisschen an Handke gedacht und dafür bei Kroetz gespickt. Dessen „Wunschkonzert“, einst der Studio-Renner für weibliche Charakterköpfe, gab die Anregung für ein Monodram, das am liebsten genauso gut, aber auf alle Fälle ganz anders sein will. Statt der schrulligen Seniorin hier eine verhuschte Mittvierzigerin, die nach der Arbeit heimkehrt, Blick und Wohnung vergleichbar leer. Mit Aldi-Tüten in der Hand stürzt sie aus dem Berufsleben der Zwänge in die verhasste Freiheit, die der „Feierabend“ bringt.

Am Anfang lauert noch Komik hinter dem Allabend. Wenn sie heimkehrend das Aldi-Futter mit verdächtig vielen Salatgurken für den rettenden Sprung auf die Toilette fallen lässt, stößt das auf erkennbares Verständnis im Publikum. Das Geschäft sieht man als ulkiges Schattenspiel, das Polieren der Klobrille auch.

Danach wird depressive Stimmung zelebriert. Der unwillige Blick in die Prospekte (was, das Sonderangebot ist billiger als der aktuelle Einkauf?), der Kampf mit dem Magerquark-Verschluss, der bewaffnete Einsatz gegen Gurke Nr. 1. Dazu die Sülz-Rhetorik des Radio-Moderators, der Oldies aus dem Archiv mit Sprachgebrösel paniert. Wenn er die Disco-Queen von dunnemals auflegt, kommt Bewegung in die ermattete Frau. Für Sekunden wird sie zur Spiegelung der eigenen Vergangenheit – oder vielleicht auch nur des Wunschtraums, so gewesen zu sein.

Regisseur Karademir lässt Adeline Schebesch dann immer das streng zurückgebundene Haar öffnen und die Mähne Tina-Turner-mäßig schütteln. Er ist viel zu schnell dabei, eindeutige Stereotypen für unerklärliche Gefühlsdefekte festzuklopfen. Also sieht man zu wenig vom flehentlichen Funkeln im hoffnungslosen Blick, mit dem Adeline Schebesch vom Staatstheater die Figur einpuppt und in den schönsten Momenten in Segmente der „Stunde, da wir nichts voneinander wussten“ führt.

Die Ausgangsposition verlangt szenische Auffüllung einer theoretisch festgelegten Studie. Nichts von dem, was die Biografie interessant macht (tagsüber Abteilungsleiterin, steht im Programm, also jeden Abend Absturz aus der Kommunikation ins Schweigen!), ist auf der Bühne als Fallhöhe spürbar. Schade drum, denn immer wieder blitzen abgründige Blicke auf. Doch der Tausch des Kanarienvogels (Partner-Service der Kroetz-Art) mit dem Kontakt-PC für die Midlife-Lady bringt lediglich eine weitere Behauptung. Der Tod ist keine logische Konsequenz, diese stille Frau würde ihre leeren Abende wohl längst in der Volkshochschule auffüllen - und für Dunkelheit im Kühlschrank sorgen. Dieter Stoll

Bis 7. Juni, jeweils 20.30 Uhr, Karten unter Tel. 261510

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