Interview

Grabungsleiter in der Hammerschmiede: "Wie ein Fenster in die Vergangenheit"

Thomas Lechner ist der Grabungsleiter in der Hammerschmiede, wo "Udo" gefunden wurde. In der AZ spricht er über die aktuellen Arbeiten.
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Lechners Chefin, Paläontologin Madelaine Böhme, neben einer Rekonstruktion von Menschenaffe "Udo".
Lechners Chefin, Paläontologin Madelaine Böhme, neben einer Rekonstruktion von Menschenaffe "Udo". © Marijan Murat/dpa

München - AZ-interview mit Thomas Lechner. Der 28-Jährige ist der Leiter der paläontologischen Grabung in der Tongrube "Hammerschmiede" im Allgäu, wo Überreste des Menschenaffen "Udo" gefunden wurden. In der AZ spricht er über die aktuellen Arbeiten, was er gerne finden würde und wie ein Tag in der Grube abläuft.

AZ: Herr Lechner, Sie leiten vor Ort die Grabungen in der Hammerschmiede, wo Menschenaffe "Udo" entdeckt worden ist. Was haben Sie jetzt bei den neuen Grabungen seit Anfang September schon gefunden?

Thomas Lechner: In den ersten acht Geländetagen konnten bereits an die 500 Fundobjekte registriert werden. Dabei handelt es sich vor allem um die Überreste von Schildkröten. Zum Beispiel die Schnappschildkröte oder Verwandte der griechischen Landschildkröten. Und ein Fragment eines Elefanten-Fersenbeins bestätigt auch in der diesjährigen Saison das Vorkommen verschiedener Rüsseltiere. Viele der Funde gehören zu Säugetieren, darunter zum Beispiel ein Oberarmknochen einer Münchner Waldantilope - Miotragocerus monacensis. Sehr häufig fanden sich auch bereits Wirbel, Schienbeine und Zähne von einem Säugetier aus der Gruppe der Hirschferkel, einem Tier, das heute in Miniaturform in Asien noch vorkommt.

Thomas Lechner.
Thomas Lechner. © privat

Wie muss man sich so ein Hirschferkel von damals vorstellen?
Die Hirschferkel waren in etwa so groß wie ein heutiges Reh.

Und wie schaut es mit Menschenaffen-Überresten aus?
Die Gebeine der Menschenaffen lassen noch ein bisschen auf sich warten. Dafür muss einfach noch mehr Material bewegt werden, da hier doch ein gewisser Seltenheitscharakter vorliegt.

Wie sieht der weitere Plan der Grabung aus?
Wir haben bereits viel Zeit verstreichen lassen müssen und normalerweise beenden wir zur aktuellen Phase unsere Grabungen. Nachdem die Wetteraussichten aber immer noch ziemlich gut sind, werden die Grabungen je nach Wetter auch länger andauern. Im Moment steht eine Grabungsplanung bis Ende September.

Die Suche nach Fossilien ist nicht planbar

Wie viele Personen helfen mit?
Wir werden über die Grabungsphase mit maximal 25 Personen gleichzeitig im Gelände sein. Gegraben wird in zwei Horizonten, darunter natürlich auch die Fläche, in der die Überreste des "Udo" gefunden wurden. Hier konzentrieren wir uns auf einen Bereich, in dem vielleicht weitere Skelettreste eines der weiblichen Menschenaffen verstreut liegen könnten.

Was erwarten Sie noch zu finden?
Die Suche nach Fossilien ist nicht planbar. Der fossile Bachlauf lässt zwar gewisse Tendenzen zu, nach denen zum Beispiel Funde über mehrere Meter verstreut einander zugeordnet werden können. Hierbei kann aber nur sehr schwer eine Prognose abgegeben werden, über welche Distanzen welche Knochen verstreut liegen, wie weit der Fluss oder Raubtiere bestimmte Skelettelemente verteilt haben, oder ob die Knochen überhaupt so eingelagert wurden, dass sie die doch sehr lange Zeit überdauern konnten. Viel leichter lässt sich jedoch hoffen!

Lechners Chefin, Paläontologin Madelaine Böhme, neben einer Rekonstruktion von Menschenaffe "Udo".
Lechners Chefin, Paläontologin Madelaine Böhme, neben einer Rekonstruktion von Menschenaffe "Udo". © Marijan Murat/dpa

Hoffnung auf Knochen von Biebern und Menschenaffen

Was wäre Ihre Hoffnung?
Es besteht natürlich die Hoffnung, auch in diesem Jahr erfolgreich weitere Knochen der Menschenaffen ans Tageslicht zu holen. Hierbei wäre neben einem sehr unwahrscheinlichen Schädelfund der Fund weiterer Knochen im Fuß wissenschaftlich äußerst spannend.

Warum?
Solche Knochen könnten noch deutlich mehr Aufschluss über die Körperhaltung und bestimmte Bewegungsabläufe bei den Allgäuer Menschenaffen liefern. Wir Wissenschaftler freuen uns aber auch über weitere Funde der vielen anderen Tierarten, die die Hammerschmiede zu bieten hat. Mit mehr als 130 Wirbeltierarten besteht hierbei sehr großes Potenzial, von jedem der Tiere nur durch einen einzigen Knochenfund spezieller Körperpositionen neue oder besser ergänzende Aussagen zur Lebensweise treffen zu können.

Was wünschen Sie sich ganz persönlich zu entdecken?
Neben spannenden Menschenaffen-Funden wünsche ich mir persönlich einen Fund eines meiner Lieblingstiere in der Hammerschmiede: dem Biber. Ein Schädelfund könnte helfen, diese Biberart ordentlich in die Stammesgeschichte der Biber einzuordnen.

Vielzahl an Tierarten in der Hammerschmiede

Damit sich das auch Laien vorstellen können: Welche Bedeutung haben die Grabungen in der Hammerschmiede?
Konkret erforschen wir ein fast zwölf Millionen Jahre altes Ökosystem. Spannend hierbei ist natürlich die Vielzahl an Wirbeltieren - über 130 Arten-, die uns alle zusammen ein immer schlüssigeres Bild des damaligen Allgäus liefern. Hieraus können dann Rückschlüsse auf die klimatischen wie geografischen Gegebenheiten gemacht werden. Ein einzelner Fund verrät nur wenig über das Tier selbst, aber die Kombination aus der Vergesellschaftung der verschiedenen Tierarten an Land, in der Luft und im Wasser sind für uns Forscher wie ein Fenster in die Vergangenheit, in dem auch Wechselbeziehungen zwischen den Tieren erforscht werden. Die Hammerschmiede ist durch ihre Vielzahl an Tierarten hierbei eine Fundstelle, in der dieses Bild so viele weiße Flecken im "Foto" füllt, wie es an anderen Fundstellen, die oft nur über Einzelfunde bekannt sind, nicht möglich wäre.

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Wie läuft ein Tag an der Grabungsstätte ab?
Jeden Morgen starten wir am Gasthof mit unseren Bussen und versorgen uns im nahen Supermarkt mit einer Mittagsverpflegung. Mittagspause machen wir nämlich im Gelände. Dann starten wir mit den Grabungsarbeiten. Ein Team gräbt in der oberen Fläche, einer großen sandgefüllten Flussrinne. Dort wird mit Messern, Spachteln, Skalpellen und Präpariernadeln systematisch in den Schichten nach Fossilien gegraben. Der durchsuchte Abraum wird dann zu unserer "Fossilienschlämmanlage", einer von mir selbst entwickelten und gebauten rotierenden Sieb-Trommelwaschanlage transportiert - ihr Spitzname ist übrigens Rosi für Rotationssieb - und mit Wasser wie in einer Reinigungsstraße vom Sand und Ton befreit. Am Ende purzeln dann übersehene Kleinfunde aus dem Sieb. Die feineren Siebfraktionen werden hier in Säcke verpackt und anschließend im Labor weiter aufbereitet und angereichert. Ausgegrabene Funde werden transportfähig mit Klebstoffen präpariert oder in Gipsbinden eingegipst geborgen.

Teil des Grabungsteams untersucht untere Fundschicht

Wie verliert man da nicht den Überblick?
Jeder Fund wird an seinem Fundort mit einer Grabungsnummer markiert und im Fundbuch beschrieben. Mehrmals täglich wird dann mit einem Tachymeter-Messsystem jeder Fund dreidimensional dokumentiert. So können wir im Nachgang am Computer alle Funde in ihrem Bezug zueinander auswerten und auch Funde aus Nachbarflächen aus den vergangenen Jahren noch zusammen vergleichen.

Was macht das zweite Team?
Zeitgleich gräbt ein Teil des Grabungsteams auf der anderen Seite der Grube in der unteren Fundschicht, hier wird der Bereich der eher kleinen Bachrinne freigelegt. Die beiden Fundschichten entsprechen einer zeitlichen Distanz von etwa 100.000 Jahren. Am Nachmittag wird wieder all unser Equipment verstaut und die Grabungsfläche zum Beispiel gegen Regen gesichert. Danach geht es zurück ins Hotel und dort werden unsere Energiereserven wieder aufgefüllt, sodass wir alle am kommenden Tag fit und gestärkt weitergraben können.

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