Goldfisch auf der Kanzel
NÜRNBERG - Fränkische Kulturrückblende: Als die Schweiz beim Bardentreffen im Stau und das Poetenfest auf der Kippe stand.
Bewegt sie sich noch, die fränkische Kulturszene? Und wenn ja — vorwärts? Rückwärts? Zur Positionsbestimmung kann ein Blick zurück nach vorn nicht schaden — Ziel der AZ-Serie „10 Jahre danach“. Heute: August 1999.
Stau beim Bardentreffen: 59 Konzerte mit 300 Musikern aus 22 Ländern (darunter 17 Hippies, Anne Haigis, Taraf de Haidouks) und über 120000 Besucher werden beim 24. Bardentreffen gezählt. Der Burggraben erlebt mit Klaus Lage und kubanischen Rhythmen seinen Kollaps (und wird in der Folge ausgemustert), der Komm-Kulturgarten gibt sein Debüt als Massenspeicher — und wurde in diesem Jahr als Trittbrett dritter Anbieter wiederentdeckt. Die Idee, in diesem Jahr die Schweiz zum Schwerpunkt zu küren, war wohl eine Trotzreaktion. 1999 stand Alpenrocker Göla zunächst im Stau und lieferte dann einen faden Sound ab. Da war man vor kurzem mit Sophie Hunger, Max Lässers Überlandorchester und Patent Ochsner besser bedient.
Arme Lektüre: Das finanziell stets wacklige Erlanger Poetenfest hat’s auch in seiner 19. Auflage schwer: Zu Festival-Beginn fehlen 30000 Mark. Immerhin lesen dann doch 16 Autoren (heuer sind’s 20) aus ihren aktuellen Werken, darunter Terézia Mora, damals frisch gekürte Bachmann-Preisträgerin, die an diesem letzten August-Wochenende mit ihrem neuesten Roman „Der einzige Mann auf dem Kontinent“ kommt. Porträt-Gäste sind Günter Kunert (siehe „Namen des Monats“) und Milo Dor, und auf einem Podium dürfen sich die Literatur-Kritiker spreizen.
Fränkische Zahlenspiele: Jahrelang ging man beim Africa Festival von 40000 Besuchern aus. Bei der 11. Ausgabe der Würzburger Flächenbeschallung wurde nachträglich gezählt. Als die Statistiker im August fertig waren, kamen sie auf 119952 Gäste — das Dreifache! So was macht Eindruck. Manchmal ist genaues Mitrechnen gar nicht erwünscht. Beim Klassik Open Air der Philharmoniker 2009 gilt offiziell die Marke von 60000 Picknickern. Bei den wohl tatsächlich anwesenden 80000 wäre eine höhere (und teurere) Sicherheitsstufe fällig.
Exportschlager in Schwarz-Pink-Gold: JBO, vor einem von James Last angestrengten Prozess als James Blast Orchester berüchtigt und Erlangens erfolgreichster Party-Export, feiert mit 3500 Fans „10 Jahre Blödsinn“. Zum 20. Jubiläum in diesem Jahr beschenken sich die Spaß-Metaler mit dem programmatischen Album „I Don’t Like Metal — I Love It!“.
Die Spur der Schläger: Beim ersten „Ortung“-Parcours in Schwabach verteilen 25 bayerische Künstler ihre stadt- und goldschlägereibezogenen Werke an 37 Orten — und buhlen um den Kunstpreis im Gesamtwert von 18000 Mark. Dabei: Ein Goldfisch auf der Kanzel. Nicht er, sondern die Nürnbergerin Rita Kriege gewinnt. Bei der 6. Ausgabe gibt es 5000 Euro und 2500 Euro für den Publikumspreis. 20 Künstler bestücken bis 23. August 31 Stationen. Sieger ist der Erlanger Axel Gercke.
Filme im August 1999: „StarWars: Episode 1“ bricht uninspiriert Kassenrekorde, Bei „Message in a bottle“ zücken Millionen die Taschentücher, in „Hilary & Jackie“ bewegt das Schicksal von Cello-Star Jaqueline Duprés. Qualitativer Höhepunkt: Andreas Dresens sensibler Außenseiterfilm „Nachtgestalten“, der den Weg ebnete für Festival-Abräumer wie „Halbe Treppe“ und „Wolke 9“.Georg Kasch
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