Gletscher-Katastrophe erschüttert die Schweiz: Droht Bayern ein ähnliches Unglück?
Ein Albtraum ist Wirklichkeit geworden: Am Mittwoch stürzte der Birch-Gletscher oberhalb von Blatten im schweizerischen Wallis ab und riss Millionen Kubikmeter Gestein, Eis und Schlamm mit sich.
Das malerische Dorf liegt nun zu einem großen Teil unter einer dicken Schicht aus Schutt begraben. Rund 130 Häuser wurden zerstört, die Dorfkirche ist verschwunden, und die idyllische Landschaft gleicht einem Trümmerfeld.
Die 300 Bewohner wurden bereits vor zwei Wochen evakuiert – doch ein 64-jähriger Mann wird seit dem Unglück vermisst. Rettungsteams, unterstützt von der Schweizer Armee, kämpfen gegen die Zeit, um ihn unter Tonnen von Geröll zu finden.
Flutwelle und Gerölllawinen drohen – noch ist die Situation nicht unter Kontrolle
Noch ist die Gefahr längst nicht gebannt. Die gewaltigen Trümmer haben die Lonza aufgestaut, wodurch sich ein bedrohlicher See gebildet hat, der täglich wächst.
Experten warnen vor einem Dammbruch, der eine Flutwelle auslösen könnte, die Tausende in den tiefer gelegenen Orten wie Wiler, Kippel, Gampel und Steg gefährdet. Bereits jetzt sind Teile dieser Dörfer evakuiert, und die Behörden bereiten sich auf weitere Maßnahmen vor.
Der Schock sitzt tief, und die gesamte Alpenregion – darunter auch der Freistaat – blickt besorgt in die Zukunft. „In der Schweiz gab es eine Permafrost-Reaktion“, sagt der Geowissenschaftler Michael Krautblatter der AZ. Dauerhaft gefrorener Untergrund sei aufgetaut und habe eine Kettenreaktion in Gang gesetzt. Das Gestein habe sich gelöst und sei ins Rutschen geraten.

Riss wird immer größer: Auch der Hochvogel in den Allgäuer Alpen bricht langsam auseinander
Eine solche Entwicklung sei in Bayern jedoch nur in wenigen Regionen möglich, erklärt der Forscher von der Technischen Universität München. Permafrost gibt es hierzulande nur auf Deutschlands höchstem Berg, der Zugspitze. Dort wird die Lage kontinuierlich überwacht.
Dafür bricht allerdings im Allgäu der Gipfel des Hochvogels (2592 Meter) an der österreichischen Grenze auseinander. Experten rechnen dort mit einem gewaltigen Felssturz in Richtung Tirol, der auf unbewohntes Gelände trifft – begleitet von verstopften Wildbächen und daraus resultierenden Murgängen.
"Wir erwarten Teilabstürze"
In den vergangenen Jahren sind bereits 140.000 Kubikmeter Gestein abgestürzt – in der Schweiz waren es 1,5 Millionen. Ursache dafür seien unter anderem schnelle Reaktionen auf Starkregen, erklärt Krautblatter. Deshalb wird der Hochvogel alle zehn Minuten von Messsystemen überwacht.
Mehr als fünfmal jährlich besteigt der Experte den Berg, um die Lage genau zu beobachten. Bereits jetzt ist eine deutliche Beschleunigung der Gesteinsbewegungen zu erkennen. Der Riss am Gipfel misst sechs Meter in der Breite, 35 Meter in der Länge und 50 Meter in der Tiefe. Jährlich wächst er um etwa 2,5 Millimeter. „Wir erwarten Teilabstürze“, prognostiziert der Wissenschaftler.
Wie hoch ist das Risiko?
Dramatische Bilder wie in der Schweiz seien im gesamten Freistaat jedoch nicht zu erwarten. Zu diesem Ergebnis kommt auch Tobias Hipp, Experte für Naturgefahren beim Deutschen Alpenverein (DAV). Wahrscheinlicher seien Felsstürze und Steinschläge.
„Für einen Bergsturz müssen extrem viele Parameter zusammenkommen“, erklärt Hipp der AZ. Dazu zählen eine grundlegende Schwäche des Berges sowie ein Wärmeimpuls oder durch den Klimawandel bedingtes Extremwetter.
13 Bergstürze sind im Freistaat dokumentiert
Die grundsätzliche Gefahr will der Experte damit jedoch nicht herunterspielen. Vielmehr will er vor allem Wanderer sensibilisieren. „Es wird immer wichtiger, sich engmaschig über den Wetterbericht zu informieren“, betont Hipp. „Ein paar Tage im Voraus reichen nicht aus, um sich mit aktuellen Sperrungen im alpinen Raum auseinanderzusetzen.“
Laut dem Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU) in Augsburg gibt es derzeit keinen Ort, „an dem ein Bergsturz zu befürchten ist“, heißt es auf eine Anfrage der AZ. Im Freistaat sind bislang 13 Bergstürze dokumentiert – überwiegend aus prähistorischer Zeit.
Einer ereignete sich im Jahr 1851 am Schrofen unweit von Brannenburg. „Die Sturzmassen stauten den Kirchbach auf, der nach einigen Tagen durchbrach“, teilt das LfU mit. Das Gesteinsmaterial richtete darauf im bewohnten Gebiete erhebliche Schäden an.
In höheren Lagen der bayerischen Nachbarländer treten derartige Ereignisse dagegen häufiger auf. So stürzten erst 2023 etwa 450.000 Kubikmeter Gestein in die Tiefe. Das Gebiet war jedoch unbewohnt und diente lediglich als Weidefläche. Zudem wurde die Gegend rechtzeitig evakuiert, weshalb es keine Todesopfer oder Schäden an den Gebäuden und der Infrastruktur gab.
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