Gerüchte um "Hitlers Teehaus": Fake-Video sorgt für Aufregung in Berchtesgaden
Berchtesgaden - "Eine Desinformationskampagne der Sonderklasse" – mit diesem Satz bringt es Bartl Wimmer, Verbandsvorsitzender des Zweckverbands Bergerlebnis Berchtesgaden, vor wenigen Tagen am Rande einer Veranstaltung auf den Punkt: Ein professionell gestaltetes, mit vermeintlichen Notar-Dokumenten angereichertes Video kursiert derzeit auf X.
Darin wird behauptet, Hitlers ehemaliges Kehlsteinhaus sei für eine Millionensumme verkauft worden. Dahinter stecke gar der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.

Ein irrwitziges Gerücht und eine gesteuerte Falschnachricht in der Tourismusregion Berchtesgaden: "Dieses Video und seine Aussagen sind frei erfunden", sagt Wimmer. Desinformation schadet – nicht nur in Zeiten des Wahlkampfes. Spaß versteht der Verbandsvorsitzende deshalb keinen. "Wir alle sind nicht in der Lage, solchen Desinformationskampagnen adäquat etwas entgegenzusetzen", sagt Wimmer.
Gerüchte um Kehlsteinhaus in Berchtesgarden: Behauptungen lassen sich entkräftigen
Tatsächlich lässt sich ein Großteil der Behauptungen in dem Video bereits mit wenigen Hintergrundinformationen entkräften. Das Kehlsteinhaus auf 1834 Metern zählt mit seinen rund 300.000 Besuchern pro Jahr zu den beliebtesten touristischen Attraktionen Bayerns mit Einnahmen in Millionenhöhe. Erst kürzlich wurde der 124 Meter lange Aufzug zum Haus modernisiert.
Zwischen 1937 und 1938 beauftragt und als Teehaus für Hitler und das NS-Regime errichtet, ist es seit Jahrzehnten im Besitz des Freistaats Bayern. Seit 1952 fungiert das Haus als Berggaststätte. Die Berchtesgadener Landesstiftung hat den Nießbrauch an den Kehlsteineinrichtungen.
Sogar historische Schnipsel werden eingebaut
Dass die Attraktion ein Defizitgeschäft ist, wie im Video behauptet wird? Schlicht unwahr, sagt Wimmer. Ab dieser Saison stehe das Kehlsteinhaus wegen eines angeblichen Verkaufs an eine Firma im Eigentum des ukrainischen Präsidenten für die Öffentlichkeit nicht mehr zur Verfügung, heißt es in dem zweiminütigen Video. Auch das entspricht nicht der Wahrheit, wie Wimmer bestätigt.

Genau dieses Szenario stellt das fragliche Video aber als redaktionelle Enthüllung dar. Wer den Film, der mit historischen Schnipseln und Aufnahmen des Kehlsteinhauses unterlegt ist, in Umlauf gebracht hat, ist fraglich und kaum zurückzuverfolgen.
Das mittlerweile vielfach geteilte Filmmaterial zeigt unter anderem teils geschwärzte Dokumente, ein Sprecher nennt darin einen Kaufpreis von 14,2 Millionen Euro. Eine Tonaufnahme soll den Geschäftsführer der Immobilien Freistaat Bayern zeigen. Die Behörde "Immobilien Freistaat Bayern" existiert tatsächlich und ist für Veräußerungen oder Ankäufe staatlicher Liegenschaften zuständig.
Wimmer über Fake-Video: "Alles Unsinn"
Allerdings ist die synthetisch klingende Aussage des vermeintlichen Geschäftsführers, der den Verkauf darin bestätigt, nicht real. Wimmer sagt, dass die Falschnachricht eigens zur Desinformation in Umlauf gebracht wurde: "Es passt nahtlos in die sehr wahrscheinlich bis offensichtlich von Russland gesteuerten Fälschungen, die immer mehr zunehmen."
Im Video wird behauptet, eine wirtschaftliche Schwäche habe die Verantwortlichen dazu gebracht, einen Verkauf der historischen Immobilie in Betracht zu ziehen, "insbesondere nach der finanziellen Krise der Jahre 2020 und 2021", sagt der Sprecher im Video.
Hinzu kämen Hinweise auf angebliche Offshore-Firmen, die dem ukrainischen Präsidenten zugeschrieben werden und die in den Pandora Papers enthüllt worden seien, wie es dort heißt. So sei der Präsident Eigentümer des italienischen Unternehmens San Tommasso SRL, das nun das Kehlsteinhaus käuflich erworben habe. "Alles Unsinn", sagt Wimmer.
Das Konstrukt passt gut zu einem Narrativ, bei dem ein Auslandsinvestor eine geschichtsträchtige Stätte übernimmt. Das Kehlsteinhaus ist nicht nur als Berggaststätte und Ausflugs-ziel von Bedeutung.
Sein historischer Hintergrund macht es zu einem stark symbolbeladenen Ort, der internationale Bekanntheit genießt. Gerade dieser Kontrast zwischen NS-Vergangenheit und heutiger touristischer Nutzung macht die Einrichtung für reißerische Geschichten anfällig.

Beispiel dafür, "wie infam so etwas abläuft"
Mit der Erwähnung von Wolodymyr Selenskyj als angeblicher Investor erhält das Thema eine geopolitische Sprengkraft. Sinn und Zweck der Falschnachricht: Misstrauen gegenüber allen Beteiligten zu säen, die mit der Falschinformation in Berührung kommen. Bartl Wimmer sagt, dass die Nachricht ein "gutes Beispiel" für all jene sei, die wissen wollen, "wie infam so etwas abläuft".
Das Kehlsteinhaus ist weiterhin im Eigentum des Freistaates Bayern und soll auch dieses Jahr von Mai bis Oktober geöffnet sein.