Gemüsebauer: „So schlimm wie Tschernobyl“
Der Gemüsebauer Andreas Evers vergleicht die Umsatz-Einbußen nach der EHEC-Epidemie mit der Lage nach dem Atomunglück 1986. Er geht nicht mal mehr ernten – und steht vor dem Ruin.
München - Lollorosso, Eichenblatt grün, Kopfsalat und Novita sind bereit, dicht an dicht warten sie in endlosen Reihen, glänzen knackig zwischen dem Blau des Himmels und der schwarzen Erde. Ein Heer von Salat. Andreas Evers schreitet durch die Köpfe, der lockere Boden gibt unter seinen Füßen nach – Evers taumelt ein bisschen. Wie sein Geschäft.
Tip-Top-Ware steht da auf seinen Äckern am Ludwigsfeld. Zertifiziert, nur mineralisch gedüngt, ohne Gülle. „Wochenmarktqualität!“, ruft der Landwirt. Die reißen sie ihm sonst aus den Händen. „Aber die Salate hier, die werd’ ich nie los.“ Wegen EHEC, dieser Bazille. „Der Verbraucher hat Angst“, sagt Evers. Er lässt die Finger vom Salat, von Gurken und Tomaten, egal, woher sie kommen – und ruiniert Evers dabei. Jede Woche pflanzt der bullige 35-Jährige 25000 bis 30000 Salatköpfe – weil: Jetzt ist Saison, jetzt ist Grillzeit, und der Freitag nach Jesus Christus Himmelfahrt ist seit jeher der umsatzstärkste Tag des Jahres. Nur heuer – bestimmt nicht.
Seit vergangenem Freitag geht’s abwärts, der Umsatz stürzte um 50 Prozent ab – „Minimum“. Bei Gurken, die Evers aus Erlangen bezieht und hier vertreibt, sind es 70 Prozent. Der Supermarktkonzern und die Händler vom Großmarkt, also Evers’ Kunden, bestellen nichts mehr. Evers hat am vergangenen Wochenende über 10000 Euro verloren – und jede Menge Nerven. Je mehr er redet, desto lauter wird er: „Wir Bauern sind die ärmsten Schweine, wir werden wie die Sau durch’s Dorf getrieben.“ Was könne er dafür, wenn sich in Norddeutschland so viele infizieren? Vor einer Woche wusste er nicht mal, was EHEC ist!
Josef Salvador, Geschäftsführer des Erzeugerrings Oberbayern, dem auch Evers angehört, hat jeden Tag verzweifelte Gemüsebauern am Telefon. „Die Situation ist gerade katastrophal“, sagt er. „Gurken, Salate, Tomaten werden geradezu in Sippenhaft genommen.“ Richtig große Sorgen hätten vor allem Lieferanten von Großabnehmern, Kantinen, Wirtschaften und Supermärkten. „Die verzeichnen enorme Absatzrückgänge“, sagt Salvador. „Die Angst und die Unsicherheit der Kunden ist offensichtlich riesengroß.“
Gleiche Klagen vom Bayerischen Bauernverband: „Seit Freitag sind Salatgurken und Tomaten nicht absetzbar, der Einzelhandel streicht alles aus dem Sortiment“, sagt Sprecherin Brigitte Scholz. Auch in Bayerns größtem zusammenhängenden Gemüseanbaugebiet, dem „Knoblauchsland“ rund um Erlangen, Nürnberg und Fürth, blieben die Bauern auf ihren Waren sitzen. Dort verkauft Bauer Michael Brückner normalerweise 10<TH>000 Gurken pro Tag, doch „seit drei Tagen häufen sich die Gurken im Lager – ein Verlust von rund 2500 Euro pro Tag“, sagt er. Die Rückgänge betrügen 50 bis 80 Prozent, „inzwischen haben die Verbraucher sogar das Vertrauen in die Erdbeere verloren“, sagt Brückner. Minus hier: 30 bis 40 Prozent.
Josef Salvador will deshalb eines klarstellen: „Betroffen ist nach dem jetzigen Wissensstand nur Gemüse aus Norddeutschland – trotzdem zahlen die bayerischen Bauern jetzt die Zeche! Das bringt die ganze Branche an den Rand des Abgrunds.“ Der ist tief: „Wenn es diese Woche voll bei den Verbrauchern durchschlägt, schaut’s böse aus.“
Noch hat Andreas Evers Arbeit für seine 15 Angestellten. Sie pflanzen weiter Salat, Dill, Petersilie oder Sellerie auf seinen 20 Hektar großen Feldern neben der A99, in der Hoffnung, dass es bald aufhört mit dem EHEC. Seit 115 Jahren existiert das Geschäft der Familie, „aber so schlimm war’s nur nach Tschernobyl“, sagt Evers. Auch damals brach sein Umsatz drastisch ein. Der Mann mit den vollen Feldern tätschelt seine nutzlose Erntemaschine. Sie steht vor einer Halle, in der sonst sechs Mitarbeiter unter Volldampf frisch geerntetes Gemüse waschen – jetzt ist sie leer, alles ist still. „Wir sind wie gelähmt“, sagt Evers. Es hallt.
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