Gefesselt in die Kiste gepackt: Vier Senioren vor Gericht
TRAUNSTEIN - Ein Verbrechen wie im Krimi. Eine Senioren-Gang steht vor Gericht: Das Quartett knebelte einen Finanz-Jongleur und packte ihn in eine große Kiste, um sein Geld zurück zu bekommen.
Geknebelt und gefesselt legten sie ihr Entführungsopfer James A. (57) in eine 1,90 große Kiste, gebaut aus vier Umzugskartons. Das Paket rollten sie durch die Fußgängerzone von Speyer – bis zu einem Audi A8 mit Traunsteiner Kennzeichen. Dann hievten Rentner Roland K. (74) und Bauunternehmer Wilhelm D. (60) den Karton ins Auto.
So begann am 16. Juni 2009 die spektakuläre Entführung des dubiosen Finanz-Jongleurs James A. Durchgeführt von einer vierköpfigen Rentner-Gang aus Chieming bei Traunstein und einem Bauunternehmer aus Florida (AZ berichtete).
Der Fall sorgte bundesweit für Aufsehen. Ab Montag müssen sich Roland K., seine Frau Sieglinde (79), Wilhelm D. sowie Iris F. (64) vor dem Landgericht Traunstein verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen Geiselnahme und gefährliche Körperverletzung vor. Das Verfahren gegen Gerhard F., den Ehemann von Iris F. wurde abgetrennt, weil der Arzt (67) erkrankt ist. Roland K.s Anklage wurde dagegen noch durch einen Raub-Vorwurf erweitert. Der Prozess wird interessant. Denn das belastende Opfer fehlt. Niemand weiß, wo James A. steckt. Es kursiert das Gericht, er sei vor dem FBI untergetaucht.
Die Gier war der Auslöser für die Tat. Die wohlsituierten älteren Herrschaft verfügen über Immobilien in Oberbayern und in den USA (Florida). Sie haben auch eine erhebliche Menge Bargeld auf dem Konto. Vor etwa zehn Jahren lernten sie James A. in Naples/Florida kennen. Er spekulierte mit Immobilien, versprach Renditen von bis zu 18 Prozent im Jahr.
Roland und Sieglinde K. vertrauten James A. 1,1 Millionen Dollar an, Gerhard und Iris F. 300000 Dollar. Im Zuge der US-Immobilienkrise blieben die Renditen aus und alsbald war das Geld weg. Im Internet suchten sie nach Geldeintreibern, wurden aber nicht fündig. Im Februar 2009 kontaktierten sie Wilhelm D. in Naples. Er hatte noch Kontakt zu James A. Der schuldete ihm noch 700000 Euro Provision für ein Geschäft in Kuwait.
„Die hatten alles probiert, um an ihr Geld zu kommen. In ihrer Verzweiflung haben sie dann diese blödsinnige Straftat begangen“, so Strafverteidiger Harald Baumgärtl, der Wilhelm D. vor Gericht beistehen wird. Baumgärtl weiter: „Die hatten nicht an die juristischen Konsequenzen gedacht, dass Entführung hart bestraft wird. Die alten Leute sind keine Schwerverbrecher.“
James A. empfand das sicherlich anders, als er nach einer langen Autofahrt – mit Pausen und Schlägen, weil er ununterbrochen um Hilfe geschrien hatte – vier Tage im Keller eines Einfamilienhauses eingepfercht wurde: Gitterbett, Klo, kein Fenster.
Roland K. nahm ihm sein ganzes Bargeld ab. Und informierte das Ärzte-Paar per Telefon: „Die Ware wurde erfolgreich nach Chieming gebracht.“ Alle Angeschuldigten saßen im Halbkreis dem Opfer gegenüber. Im Wandregal lag eine geladene Pistole Walter PPK. Wie bei einem Femegericht. Roland K. verlangte von der Geisel die Einlage nebst Rendite zurück. Insgesamt forderte er 3,4 Millionen Dollar von James A. „Du wirst sterben, wenn wir unser Geld nicht bekommen“, drohte Roland K.
Nach einer Zigarettenpause auf der Terrasse gelang James A. für ein paar Sekunden die Flucht. Er rannte auf die Straße, schrie: „Hilfe Polizei!“ Ein Nachbar hielt ihn fest. Er dachte, der Mann sei ein Einbrecher, weil ihn Roland K. und die anderen verfolgten. Sie sagten auch, dass James A. ein Einbrecher sei: „Wir sperren ihn in den Keller – bis die Polizei kommt.“
Am 20. Juni, gegen 4 Uhr in der Früh, kam tatsächlich die Polizei. Ein Sondereinsatzkommando beendete die Geiselnahme. James A. hatte geblufft, dass er einen Treuhänder in der Schweiz per Fax anweise, das Geld auf die Konten der Rentner zu transferieren. Er schrieb: „Sell 100 Call Pol.ICE – bitte heute!“ Der Treuhänder rief James A. an, meinte, er sei verwirrt. James A. sagte, dass er es als ein Wort lesen solle: „Call Police.“ Torsten Huber