Fritten zu Aufputschmitteln
NÜRNBERG - Zwischen Pop-Poesie und Punk-Energie: 7000 beim Nürnberger Brückenfestival. Der Schlusspunkt als Höhepunkt - die "Freedom Fries" werden zum goldbraunen Aufputschmittel fürs 21. Jahrhundert.
Der Koitus ist an allem schuld, ruft der Experte für Wort- und Fortpflanzen, der später den Dichterwettstreit (samt Flasche Wein als Siegprämie) für sich entscheiden sollte, ins jubelnde Poetry-Slam-Volk hinab. Überlagert von den Soundcheck-Wellen, die gleichzeitig von Musikbühne herüberschwappen. Als störend empfindet das niemand, beim Brückenfestival bleibt alles anders.
Rush Hour unter der Brücke – da gab’s nur Drei in der Alufolie
Da wächst zusammen, was zusammenhört. Selbst die Simultan-Strategen vom Schachclub Schwarz Weiß finden sich jenseits der Stille zurecht und schreiten bis Mitternacht in stoischer Ruhe ihr belagertes Verteidigungs-Karree ab.
Rush Hour unter der Brücke: Geschätzte 7000 Besucher strömten – vorbei an Grill-Kolonien und einem 120 Meter langen improvisierten Fahrrad-Parkplatz – an zwei (erstmals seit Festivalgedenken regenfreien) Tagen ins Naherholungsgebiet der Pegnitzauen und ließen Nürnbergs einziges vierspuriges Freizeitvergnügen unter der Heuss-Brücke aus dem Beton-Rahmen platzen. Das hatte Folgen: Zu vorgerückter Stunde gab’s am zweiten Tag zu Poesie, Bratwurst und Promenaden-Punk eine kulinarische Neuerung: Drei in der Alu-Folie – das Weckla war aus.
Die Entdeckerlust war demnach augenscheinlich größer als das diesjährige Angebot, das musikalische Mittelstreifen zuverlässig aussparte und als Brückenkopf in die Nürnberger Rock-Szene diente. Wo mit Hingabe diverse Nachlässe verwaltet werden. Am Auffälligsten zwischen dem soliden Solidaritäts-Reggae des Klang-Kollektivs Yohto und dem Ramones-Rock von Inspector Po, wo Sänger Jay Montone die Kinder angesichts der klaffenden Betonfläche noch spöttelnd vor Stagediving warnen musste, waren die nachgereiften Americana-Anhänger von Great Apple Sea, die mit Sonnenkraft ans „Ende der Welt“ trieben.
„Raus mit der Energie“
Der Schlusspunkt, einer von vier Importen im Zehnerpaket der Bands, war dann auch der Höhepunkt. Wie Fatima Spar, die Türkin aus Wien, mit schmutziger Stimme, hoch gerutschtem Rock-Saum und ihren hemmungslos gedopten Balkan-Jazzern der Freedom Fries das Brückenvolk in den knalligen Cotton-Club lockt, ver-rückt Erwartungen: Die Freedom Fries, die Fritten der Freiheit, werden zum goldbraunen Aufputschmittel fürs 21. Jahrhundert. Der Swing triumphiert sogar kurzfristig übers allmächtige Party-Palaver. Das osmanische Retro-Gebrodel, das Ella nach Ägypten und Billie Holiday in die Atemlosigkeit des Jump hetzt, landet vom Kopf auf den Stöckelschuhen und balanciert prächtig: Klar: Spar dich reich!
Ansonsten dürfte sich die 8. Auflage der Nulltarif-Alternative nur punktuell in die Erinnerung eingraben. Ausgiebig machte man vom Punk-Geheimnis Gebrauch. „Raus mit der Energie“ forderte Greg Jamie von den New Yorker Großstadt-Cowboys O’Death, die mit geflicktem Country-Instrumentarium im gestreckten Galopp durchs Hillbilly-Himmelreich preschen. Schräge Zeitgenossen, die Schmerbauch und Heavy-Bass erzittern lassen und das Veranstalter-Auswahlkriterium von der Bühnenpräsenz tosend erfüllen.
Die braven Schweden von Friska Viljor tunten da am Vorabend – bei einebnendem Live-Sound – lieber gleich ihren Folkrock in Richtung The Hives, ohne entsprechenden Kick. Und das Schweizer-Deutsche Performance-Kollektiv Bonaparte, durch Anreise-Verluste deutlich personalgeschwächt, machte da weiter, wo die Tubes in den 80ern als White Punks im Kostüm aufgehört hatten. Im Hormonschleudergang wälzt sich ein entkleidungswütiges Peepshow-Pärchen, umstellt von SM-Phantasien, Kirmes-Masken und Plüsch-Hasen, durch fransenden Electro-Wave mit XTC-Resten, der weniger dreckig war als er zu sein vorgab. In der Effekthascherei des Anzüglichen blieb vieles auf der Strecke. Später hätte man es gewusst: Der Koitus war ja schuld
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