Fluchtweg zum Schrank
NÜRNBERG - Mit Ibsens gewaltigem Bilderbogen „Peer Gynt“ stößt Erlangens Theater an Grenzen
Mit dem Erlanger Theater ist es wie mit Henrik Ibsens Peer Gynt, dem nordlichterndem Zwitterwesen von Faust und Münchhausen, das dort zum Saisonstart auf die Bühne geschickt wurde – bei Gelegenheit will man einfach mal „was richtig Großes“. Das ist bei einem dreieinhalbstündigen Abend schon vom Zeitverschleiß her nicht zu bestreiten. Auch der Mut, mit acht Personen diesen unmäßigen Bilderbogen aufzublättern samt seinen personalintensiven Genre-Szenen zwischen der Trollen-Welt und der Schickeria, kommt in Übergröße daher. Intendantin Sabina Dhein, schon beim Anlauf zum Sprung ans Thalia-Theater, hat dem jungen Regisseur Philip Stemann beim Klassiker-Training freie Hand gelassen. Auch das war kühn.
Auf den ersten Blick ist die Bühne von C.R. Müller ein hermetischer Raum, wie ihn Kollege Johannes Schütz oft baut. Hohe Wände – hier aus Holz wie all die Äste, die wohl noch vom letzten Sturm als Hindernisse über dem Boden verstreut sind – umschließen die Welt des Träumers, der trotzig seine Phantasien gegen die Banalität der Wirklichkeit reckt.
Aber es gibt Fluchtwege, die Akteure steigen hinab in geöffnete Luken oder verschwinden durch die Tür eines Zauberschranks, der als wesentliches Bühnenrequisit neben dem zur Sitzgelegenheit ausgestopften Elch zunächst das Bild bestimmt. Später, im zweiten Teil, kippt der Regisseur seine Ästhetik einfach in den Sondermüll und lässt zwei Kletter-Tribünen mit Video-Wand aufstellen. Abwechslung tut gut, und dass diese Optik wiederum auf offener Bühne abgebaut wird, verleiht Ibsen den Charme eines Ehrengastes beim Erlanger Tag der offenen Tür.
Selbstverständlich ist es legitim, die nach allen Seiten ausufernden Szenen mit ihren fortwährend zwischen Poesie und Parodie, Sinnbild und Spottgeburtsstätte wechselnden Schauplätzen gegeneinander aufzubäumen. Vom betulichen „Sei du selbst“ über die Trollen-Variante „Sei dir selbst genug“ bis zur melancholischen Begegnung des alten Peer mit dem Gerücht seiner eigenen Legende nebst irrationaler Sehnsucht nach einem „Zimmer mit Heizung“ in der Hölle, führt kein gerader Weg. Aber grade Kurven brauchen ihre Aerodynamik, und die ist nicht erkennbar.
Die Erlanger Inszenierung behandelt Einzelheiten, ohne Grundsätzliches (wie den Umgang mit der gebundenen, oft am Rande der Schüttelreim-Komik balancierenden Sprache) zu klären. Es werden abwechselnd üppig lebende Bilder spitzfindig arrangiert oder Texte blank aufgesagt. Bei der Parabel vom Schälen der Zwiebel, die mit leeren Händen endet, steht der Hauptdarsteller an der Rampe als ob er doch lieber „Sein oder Nichtsein“ sagen würde. Es gibt auch Bauchtanz-Travestie von drei nabelfreien Herren und Stotter-Artistik mit Hitler-Grummeln als ob Monty Python und Charlie Chaplin endlich vereint wären. Da läuft’s ratternd leer.
Maximilian Löwenstein in der überbordenden Titelrolle schiebt Textmassen gleichmäßig durch die Episoden, jammert, brüllt und chargiert in Jeans wie im Goldglamour-Anzug und rutscht in die Moderatoren-Position zum Peer-Schicksal. Allein Simin Soraya darf sich auch auf eine Figur konzentrieren, aber Solveig entkommt dem Kitsch nicht. Das Rest-Ensemble jagt im Rollenwechsel nach Karikaturen.
Der Beifall im Markgrafentheater wirkte freundlich, was „richtig Großes“ war er aber auch nicht. Dieter Stoll
Vorstellungen: 12., 13., 25., 30./31.10 - Tel. 09131/862511
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