Feuerteufel - oder Opfer einer Intrige?

Als Polizist und Feuerwehrmann wird der Mann von den Kollegen nur gelobt. Und doch soll er ein gefährlicher Brandstifter sein. Szenen einer ungewöhnlichen Verhandlung.
Hubert Denk |
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Der frühere Polizist und Feuerwehrmann Andreas A. mit seinem Anwalt auf der Anklagebank im Landgericht Passau.
Tobias Köhler/mediendenk Der frühere Polizist und Feuerwehrmann Andreas A. mit seinem Anwalt auf der Anklagebank im Landgericht Passau.

 

Der Mann, der jetzt auf der Anklagebank sitzt, war mehr als 20 Jahre lang Polizeibeamter, 25 Jahre aktives Mitglied der freiwilligen Feuerwehr, zuletzt Vorstandsvize. Ist dieser zweifache Familienvater ein Feuerteufel, der Autos abfackelt und im Nachbarhaus Feuer legt – oder ist er das Opfer eines raffinierten Racheaktes? Der Indizienprozess vor dem Passauer Landgericht gegen Andreas A. (42) lässt die Prozessbeobachter rätseln. Für das Schwurgericht wird der Fall zum Puzzlespiel. Reichen die schmalen Zeitfenster zwischen den Alibis, um diesem bis dato unbescholtenen Mann (zwei Kinder, Scheidung vor drei Jahren) die Taten anzuhängen? Gibt es wirklich einen Unbekannten, der ihm angeblich die Brandlegungen in die Schuhe schieben will oder sitzt auf der Anklagebank ein gerissener Lügner?

Der Feuerteufel von Griesbach hat drei Brände gelegt. Am 22. Dezember 2011 gingen in einer Hoteltiefgarage des 8500-Einwohner-Kurortes drei Autos in Flammen auf, fünf Tage später in einer benachbarten Garage sieben Fahrzeuge, darunter teure Limousinen. Zwei Wochen später brannte ein leer stehendes Mehrfamilienhaus, das an das Grundstück des Polizisten grenzt.

Gegen Ende des siebten Prozesstages lehnt sich die Vorsitzende Richterin in ihrem Stuhl zurück, verschränkt die Arme. „Jetzt sind Sie mir eine Erklärung schuldig“, sagt sie laut und fixiert den Angeklagten mit scharfem Blick. Sie hat Ungereimtheiten zwischen den Zeugenaussagen der Dienstkollegen und seinen Behauptungen entdeckt. Er bleibt kühl, gibt zu bedenken, dass sich seine Kollegen wahrscheinlich nach einem Jahr nicht mehr genau erinnern können.

Mal unterstellt, er sei der Täter, wäre er beim Zündeln in der Hoteltiefgarage sehr dreist unterwegs gewesen: mit Polizeiwagen und Uniform! Für die Brandlegung selbst wären ihm kaum 20 Minuten Zeit geblieben. Um 18.50 Uhr heulen an jenem Dienstag die Feuerwehrsirenen. Um 18.06 war der Polizist noch allein mit dem Streifenwagen wegen eines Familienstreits unterwegs. Um 18.16 Uhr, etwa eine Viertelstunde vor Schichtende, hat er sich an seinem Dienstcomputer abgemeldet. Er will den Kollegen seiner Schicht von Familienstreit und einem flüchtigen Täter noch erzählt haben.

Hier hakt die Richterin später überraschend ein – vielleicht um den Angeklagten in die Enge zu treiben. Denn die Kollegen können sich an diese Übergabe nicht erinnern, erzählen vielmehr, Andreas A. sei mit dem Polizeiwagen noch nicht zurück gewesen, als sie das Gebäude verließen. Aber wann hat er den Wagen dann zurückgebracht und sich umgezogen? Von der nachfolgenden Schicht hat ihn auch keiner gesehen. Der Angeklagte selbst berichtet, er sei nach Dienstschluss zu seiner Lebensgefährtin gefahren und hätte dort zu Abend gegessen, als der Alarm losging.

„Pkw-Brand in der Innenstadt“, heißt es über Funk. Wenige Minuten später tasten sich Feuerwehrleute mit Atemschutz durch Rauch und Flammen. In zwei verschiedenen Quartieren der unterirdischen Garage, am Haupteingang und einem hinteren Notausgang, etwa 50 Meter voneinander entfernt, hat der Feuerteufel gewütet. Er deponierte auf den Reifen der Fahrzeuge brennende Grillanzünder. Der Angeklagte, Ausbilder und Gruppenführer, ist mit jungen Feuerwehrleuten bei der Brandbekämpfung an vorderster Front. Detonationen erschrecken die Burschen, der Knall platzender Autoreifen, von der Decke fallen verschmorte Elektrokabel. Der Wasserschlauch wird zu kurz, beim Rückzug verlieren sie kurz die Orientierung, der Sauerstoff in den Flaschen wird knapp. Würde ein Ausbilder seine Mannschaft in derartige Gefahr bringen?

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus. Sie ist überzeugt davon, dass A. bei diesem Einsatz Täterwissen hatte. Als Chef des ersten Löschwagens dirigierte er den Fahrer zum Hintereingang der Tiefgarage. Gegen die Anweisung des Kommandanten. Dass auch im hinteren Teil der Garage auch Fahrzeuge brannten, konnte eigentlich nur der Täter wissen. Der Feuerwehrkommandant selbst nimmt im Zeugenstand seinen Kollegen in Schutz. „Beim Einsatz stehen die Männer unter Adrenalin“, erklärt er mögliches Fehlverhalten. Dann stimmt er eine Hymne auf den Angeklagten an: Keiner sei so zuverlässig und hilfsbereit. Der Mann auf der Anklagebank schlägt seine Hände vors Gesicht und beginnt leise zu weinen.

Immer wieder fließen Tränen bei diesem Prozess. Beim Angeklagten vor Rührung, über die Zeugnisse, die ihm seine Kameraden ausstellen. Es sind immer wieder bewegende Momente, wenn sie ihn vor den Richtern als vorbildlich und zuverlässig anpreisen. „Das kann alles nicht sein, dass ihm so etwas vorgeworfen wird“, schluchzt ein grauhaariger Herr mit 40-jähriger Erfahrung im Dienst der Feuerwehr. Die uniformierten Kollegen von der Polizeiwache schmeicheln ihm im Zeugenstand ebenso. Sie einen nennen einen „mustergültigen Polizeibeamten“, ein Vorbild im Dienst.

Fast scheint es, als habe der Angeklagte in Bad Griesbach nur Freunde. Seine einzigen Gegner sind im Gericht die Ermittler von der Kripo und der Staatsanwalt. Am Rande des Prozesses gibt der Staatsanwalt zu erkennen, dass die große, möglicherweise die unüberwindbare Hürde für den Angeklagten sei, ein Geständnis abzulegen: Es würde für eine ganze Welt zusammenbrechen. Als Vater, Feuerwehrmann und Polizist trage er Verantwortung, sagt er selbst einmal im Prozess. „Ich werde doch mein Leben nach 40 Jahren nicht über den Haufen werfen.“

Rätsel und Ungereimtheiten auch beim dritten Feuer. Wie dumm sollte ein Brandstifter sein, dass er ausgerechnet sein Nachbarhaus anzündet? Als A. gegen Mitternacht angeblich Rauchschwaden nebenan unterm Dachfirst aufsteigen sieht, wählt er den Notruf. Die Aufzeichnung des Gesprächs mit einer Beamtin der Einsatzzentrale in Straubing wird vor Gericht vorgespielt. A. gibt sich als Kollege zu erkennen, erklärt auf Nachfrage, dass er nicht mit Sicherheit sagen könne, ob sich Leute im Haus befinden. Er schließt mit den Worten, dass er jetzt selbst zum Löscheinsatz los müsse. Warum eilt er erst ins Feuerwehrhaus, obwohl im Nachbarhaus womöglich Menschen in Not sind? Im Prozess erklärt er, dass er sich ziemlich sicher war, dass das Haus unbewohnt war: Keine Autos, die geschlossenen Jalousien. Die Apartments werden als Ferienwohnungen benutzt. Dass keiner im Haus war, konnte eigentlich nur der Brandstifter wissen.

Der Feuerteufel hat sich im Nachbarhaus große Mühe gegeben. Er zündete mit Brandbeschleuniger und Kohleanzünder an Dutzenden Stellen an. Sofas, Kissen, Matratzen, Wasserkocher. Er hat wahrscheinlich ein Kellerfenster aufgehebelt und dann alle Türen eintreten. Die kleinen Brände werden rasch gelöscht, das Obergeschoss bleibt verschont.

Bei seinem Kontrollgang kickt der Feuerwehrkommandant auf einem Treppenabsatz zufällig zwei kleine PET-Flaschen um. In diese hatte der Feuerteufel, wie sich bald herausstellt,den Brandbeschleuniger gefüllt. An den Schraubverschlüssen werden die Spurenermittler später Speichelspuren finden, die ziemlich eindeutig dem Angeklagten zuzuordnen sind. Drei solche DNA-Spuren belasten den Angeklagten am gravierendsten. Aber selbst das überführt ihn nicht, denn er erzählt eine Geschichte, so abenteuerlich, dass sie fast glaubwürdig ist.

Ein Unbekannter sei in sein Haus eingedrungen, Terrassentür entriegelt, Kellertür offen, Bewegungsmelder für die Außenbeleuchtung deaktiviert. Am Anfang habe er seine Kinder verdächtigt, erst später habe er festgestellt, dass aus einem Regal im Schlafzimmer rund 150 Euro Bargeld fehlten.

Der Unbekannte könnte natürlich auch die Flaschen mitgenommen haben, um ihm die Brandstiftung anzuhängen. Es gibt auch ungeklärte Schmierereien an seiner Hauswand und einen anonymen Drohbrief im Briefkasten, den er selbst zur Anzeige brachte.

Der Täter, den Verdacht des Angeklagten zugrunde gelegt, könnte also ein Berufskollege genau so sein wie ein Neider aus dem privaten Umfeld. Wenn das stimmt, dann saß der wahre Täter vielleicht irgendwann auf der Zeugenbank oder im Zuschauerraum.

Seit März sitzt der Polizist in Haft. Er wurde zum Selbstschutz in einem Gefängnis fern seiner Heimat untergebracht, im oberbayerischen Erding. An zwölf Verhandlungstagen bis Ende Januar sollen 50 Zeugen aussagen. Der Ausgang dieses Prozesses ist völlig offen.

 

 

 

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