Farbtupfer auf der Familienfeier

NÜRNBERG - Die „Verstärker“-Musikmesse in Erlangen bündelte erstmals die Pop-Kräfte der Metropolregion. Eine Fortsetzung ist angedacht.
So ist das in Großfamilien: Um alle Mitglieder zusammen zu bekommen, bedarf es eines besonderen Anlasses. Omas Geburtstag, Opas Beerdigung oder Cousinchens Hochzeit. Nicht viel anders läuft das im Fall einer metropolregionalen Musikszene, die 2008 kaum weniger heterogen und zersplittert dasteht wie Musikszenen in Berlin oder Hamburg. Franken hat mittlerweile seine national und international beachteten Stars wie Robocop Kraus oder Smokestack Lightnin, die zunehmende Ausdifferenzierung und Professionalität aber kosten Kuschligkeit und fördern Einzelkämpfertum.
Rettung verspricht da eine „Familienfeier“ für alle Beteiligten. „Verstärker“ hieß die und fand am Wochenende im Erlanger E-Werk als Stelldichein von Labels, Bands und Medien aus dem Großraum Nürnberg statt. Dieses „Face to Face-Ding", meint Organisatorin Wally Geyermann, sei enorm wichtig: „Sich zeigen, vor Ort miteinander kommunizieren“, statt nur noch Soundfiles durch die Weiten des World Wide Web zu schießen.
Alte Recken wie Ex-„Throw That Beat"-Drummer Alex Sticht – mittlerweile auf Solo-Pfaden – tummelten sich bei „Verstärker“ neben Aufstrebern wie „The Audience“-Sänger Bernd Pflaum (bei „Lautsprecher“ mit eigenem Label „babacuda records“ vertreten). Institutionen wie „Radio Z“ oder „Musikverein Concerts“ hatten ihre Stände Seit an Seit mit Hoffnungsträgern wie "Glückskind Schallplatten" oder Fürths finnischen Botschaftern "Kioski".
Dabei ging es in der „Messehalle“ zu wie auf einem Flohmarkt. Da die Major-Industrie ausgesperrt blieb – bzw. ohnehin kaum Interesse an einer Indie-lastigen Regionalmesse anmelden dürfte – fanden sich im großen Saal liebevoll ausstaffierte Stände statt überdimensionierter Messebauten. Überregionale Förderer und Freunde fränkischer Popkultur, wie das Frankfurter Label „Hazelwood“ oder das „Ox“- Fanzine, tauchten allenfalls als exotische „Farbtupfer“ (Pflaum) im Lokalkolorit auf, als „Multiplikatoren“ (Geyermann) für eine hiesige „Kreativwirtschaft, die zukünftig immer bedeutender werden wird“, wie der Schirmherr, Nürnbergs Wirtschaftsreferent Roland Fleck, im gedruckten Grußwort fachmännisch anmerkte.
Neben Rahmenprogramm mit knackvoller Konzertnacht sollte bei „Verstärker“ auch diskutiert werden: über den Status Quo der Szene, das Für und Wider öffentlicher Subventionierung. Angesichts der geringen Resonanz im „Theorieblock“ darf jedoch spekuliert werden, dass die Lage in und um Nürnberg gar keine so schlechte ist. Meint jedenfalls „Goldene Zitronen“-Drummer und Wahl-Fürther Enno Palucca: „In Großstädten zerschmilzt alles“, weiß der Mann aus Hamburg, der Nürnberger Vorteil läge im „Sich-Abgrenzen“ gegenüber der Schelllebigkeit so genannter Medienstädte. Auch Alex Sticht sprich von einer „aufsteigenden“ Szene. Höchste Zeit sei es da, vorhandene Kräfte zu bündeln und von der Vielfalt zu profitieren.
Die nicht in voller Breite sichtbar wurde. So transportierte „Verstärker“ in erster Linie Gitarren-Klänge – Weltmusik und Nu-Jazz, Elektronika und HipHop blieben (diesmal) weitgehend ungehört, auch wenn die Ghettotech-Genossen Erra Love & Phango Bloch zum Aufsehen erregenden zählten, und sich die Electro-Innovatoren Wrongkong um die bezaubernde Tänzerin Cyrena Dunbar einmal mehr allen nicht anwesenden Major-Agenten empfohlen.
Aber wer weiß: Sollte es in zwei Jahren zur Neuauflage von „Verstärker“ kommen, was Wally Geyermann in Aussicht stellt, klopfen vielleicht auch Bertelsmann und Warner an. Roland Fleck würde sich freuen, eine Familienfeier wäre es dann wohl nicht mehr. Steffen Windschall