Fantasy plus Ballermann zur barocken Kletterpartie
NÜRNBERG - Mit Shakespeares „Sturm“ endet die Intendanz von Sabina Dhein in Erlangen luftig. Das Publikum bestaunt von der Bühne her ein Spektakel, das alle Etagen des Markgrafentheaters einschließt.
Welch eine bezaubernde Harmonie“, schwärmt das Liebespaar aus dem barocken Pracht-Parkett des Erlanger Markgrafentheaters mit Blick auf die Bühne, wo das Publikum dicht gedrängt der Kunst gegenüber sitzt. Verkehrte Welt – oder zumindest umgedrehte. In Malte Kreuzfeldts Inszenierung von Shakespeares „Sturm“, die als letzte Premiere der siebenjährigen Intendanz von Sabina Dhein auf dem Spielplan steht, sind nochmal viele Eigenheiten der überschaubaren Ära versammelt. Der Ehrgeiz zum Größtmöglichen, die Lust am Spielerischen, die Ambition für forsche Raum-Eroberungen. Und leider auch die schauspielerischen Grenzen, an denen sich die erfrischend unbefangenen Anmaßungen dann doch öfter ihre Beulen holten. Kurzum, ein zweites Shakespeare-Wunder nach „Hamlet“-Modell ist aus Erlangen nicht zu melden, aber die komplette Innenansicht des Hauses als Luxus-Kulisse macht den Abend ziemlich sehenswert.
Nürnberger Theaterfreunde wissen aus Erfahrung mehrerer Inszenierungen, wie schwierig diese quasi trotzjuxend in schwerblütiger Melancholie quirlende Komödie umzusetzen ist. Die Magie des verbannten Prospero und seiner unfreiwilligen Gehilfen, für die Harry Potter wohl sogar seinen Besen aus der Garage holen würde, gegen die Tölpel-Grandezza der gestrandeten und damit dem „Schicksal“ ausgelieferten Täter-Gesellschaft – das ist Fantasy plus Ballermann.
Die Erlanger Inszenierung, die nur knapp hundert Minuten für den hochgewirbelten Insel-Koller um Mirakel-Attacken von Macht und Liebe braucht (Kreuzfeldt hat den Text abgespeckt bis auf Reste von Poesie-Muskelfleisch an den Slapstick-Szenen), kann mit Optik und Akustik punkten.
Der Blick von oben hinter den im Eröffnungs-Sturm mächtig rappelnden Eisernen Vorhang auf alle bespielten Ränge des Hauses ist so reizvoll wie Bino Engelmanns Live-Percussion vor der Hinterwand der Mittelloge. Drunten in den sonst als „bessere Plätze“ gehandelten Reihen hat der schiffbrüchige König von Neapel (Winfried Wittkopp konnte neben der Papp-Krone auch die E-Gitarre retten) samt Intrigantenstadl ein Notquartier aufgeschlagen. Zwei böse, aber etwas unpräzise spielende Komiker (Thomas Chemnitz, Norbert Wendel) glitschen stimmungsmachend mit vielen Wasserflaschen über die Vorbühne, der mitreisende Schreibtischtäter (immer auf doppeltem Boden: Stefan Drücke) wird später mit der Aktentasche gegen das Schwert siegen. Auch eine schöne Utopie, es geht also sogar ohne Pflugscharen.
Schwächen hat die Regie unübersehbar mit dem harten Kern der Geschichte, die ja auch durch die finalen Herzogs-Worte „Mein Ende ist Verzweiflung“ schließt. Gast-Star Jochen Tovote macht als Prospero ganz auf „alte Schule“ von Darstellung und Sprache, die Prachtrollen des wilden Erdgeists Caliban (es staubt bei Oliver Losehand, aber es funkt nicht) und vor allem der luftigen Hokuspokus-Assistenz von Ariel (Tanya Häringer schreitet würdig durch alle Etagen, wo sie fliegen müsste) sind überwiegend als Platzierung im Geländespiel genutzt. Das ist bei Sprachgenie William Shakespeare zu wenig, zumal der Auftakt mit den windgebeutelten Personen, die auf Kronleuchter-Höhe im Himmel über den Reihen zappeln, ganz andere Angriffe auf die Textablade-Konvention versprochen hatte.
Kein Kunst-Stück, aber ein Blickfang. Dieter Stoll
Vorstellungen in Erlangen: 22. bis 24.6., 29./30.6. – Karten Tel. 09131/862511 – Bei den Bayerischen Theatertagen in Coburg zwei mal am 21.6. zu sehen.
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