Fallen Sie nicht drauf rein: So lügen die Gesundheits-Apostel

Zwei Ernährungs-Experten machen jetzt Schluss mit vielen Vorurteilen und geben provozierende Antworten auf vermeintliche Heilsbotschaften, die uns die Lust aufs unbeschwerte Leben vergällen
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Chic, aber ungesund? Gesundheits-Nörgler behaupten, High Heels machten die Füße kaputt. Das stimmt nicht, stellt die Studie einer italienischen Ärztin fest.
abendzeitung Chic, aber ungesund? Gesundheits-Nörgler behaupten, High Heels machten die Füße kaputt. Das stimmt nicht, stellt die Studie einer italienischen Ärztin fest.

Zwei Ernährungs-Experten machen jetzt Schluss mit vielen Vorurteilen und geben provozierende Antworten auf vermeintliche Heilsbotschaften, die uns die Lust aufs unbeschwerte Leben vergällen

NÜRNBERG Zum Thema Gesundheit finden sich im Internet rund 70 Millionen Einträge. Häufig sind es Heilsbotschaften, die einem die Lebensfreude vergällen. Der Ernährungsspezialist Udo Pollmer und die Biologin Monika Niehaus haben mit Spaß und Sachverstand etliche Ge- und Verbote der Gesundheitsapostel abgeklopft. Hier sind Fragen und Antworten aus ihrem neuen Buch „Wer gesund lebt, ist selber schuld“ (BLV).

Macht Anti-Aging jünger?

Dass Anti-Aging-Produkte den fundamentalen Alterungsprozess tatsächlich stoppen oder gar umkehren können, ist so unrealistisch wie der Bau eines Perpetuum mobile. Altern ist ein Naturgesetz, dem alle Materie unterworfen ist: Felsen zerbröseln, Eisen rostet, Menschen kriegen Falten. Dagegen sollen nun Rostschutzmittel wie Vitamine oder Feuchtigkeitscremes helfen – aber Altern ist nicht ein Mangel an Feuchtigkeit oder Wunderpillen.

Wer für Anti-Aging viel Geld bezahlt, sieht zwar biologisch noch genauso alt aus, mag sich aber jünger fühlen. Natürlich gibt es auch Erprobtes und Bewährtes: Man denke nur an Haarfärbemittel gegen ergrautes Fell, an Botox-Spritzen gegen Falten oder Pflaster gegen Hühneraugen. Dazu kommt das weite Feld der Ersatzteile, die eingeschränkte Körperfunktionen durch Hilfsmittel unterstützen – wie dritte Zähne, Hörgeräte, Brillen oder Herzschrittmacher.

Warum sind Stöckelschuhe für Frauen vorteilhaft?

Jeder weiß: Schickes, aber unpraktisches Schuhwerk macht die Füße kaputt. Wozu die Frage? Nun, das Terrain der Gesundheit steckt voller Tücken und heiterer Überraschungen. Die italienische Urologin Maria Angela Cerruto, bekennende Liebhaberin von High Heels, hatte das ständige Gesundheitsgenörgele an ihren Schuhen satt und ging der Sache auf den Grund. Am Beckenboden wurde sie fündig: Hohe Absätze stärken die Beckenbodenmuskulatur. Und genau das beugt später der lästigen Inkontinenz vor. Somit können sich die Frauen entscheiden, was ihnen lieber ist: ein krummer Zeh oder ein Auslaufmodell.

Welches Vitamin schützt vor Erkältungen?

Vitamin HW. Das kennen Sie nicht? Sie haben eher an Vitamin C gedacht? Leider ist ein Nutzen von Vitaminpräparaten auf das Infektionsgeschehen bis heute nicht bewiesen – trotz intensiver Untersuchungen, die diesen Markt beflügeln sollten. Das populäre Vitamin C gehört ebenso zu den Gesundheitsmärchen wie „viel Obst und Gemüse“. Diese Erkenntnis macht sich allmählich auch im Mainstream des Gesundheitsbusiness breit. So hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen gerade eine Empfehlung herausgegeben: „Vitamin C kann Ansteckung nicht verhindern – Nutzen von Nahrungsergänzungsmitteln wird häufig überschätzt.“ Das Fazit lautet: „Händewaschen schützt mehr als Vitamine.“ Wenn’s schon ein Vitamin sein muss, dann also bitte „HW“ wie Händewaschen.

Es gibt jedoch tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Vitaminen und Infektionen, aber der ist anders als gedacht. Einige Vitamine sind nämlich für gewisse Krankheitserreger wichtiger als für den Menschen, so Folsäure oder Vitamin B2.

Deshalb findet man in jenen Teilen der Welt, wo Menschen unter unhygienischen Bedingungen leben, niedrige Vitaminspiegel. Das ist dort eine Art Lebensversicherung. Diese niedrigen Spiegel können ein Mangel-Zeichen sein, oft haben sie aber eine wichtigere Funktion: den Menschen vor Infekten zu schützen.

Wie wichtig sind Mineralien im Mineralwasser?

Gar nicht. Wir sind ja keine Kieselsteine, die wachsen wollen und deshalb eine Menge Mineralien brauchen. Viele Menschen übersehen, dass ein Überschuss an Mineralien auch nachteilige Wirkungen haben kann. Haben Sie einmal überlegt, welche Wirkung stark mineralhaltiges Wasser auf die Bildung von Nierensteinen hat? Vielleicht begünstigt es auch Verkalkungen. In Regionen mit hartem, sprich: calciumhaltigem Wasser kommen Herzinfarkte häufiger vor als in solchen mit calciumarmem Wasser. Wer seinen Körper nicht mit einem Bergwerk verwechselt, ist mit Leitungswasser bestens bedient.

Welches Brainfood ist das beste?

Wenn Sie zu einer Tafel Schokolade oder zur Limoflasche greifen, geht das völlig in Ordnung. Auch Kartoffelbrei oder Marmeladenbrötchen sind erste Wahl für den Denksportler. Die eine Sorte Speisen enthält reichlich Zucker, die andere viel Stärke. Bei der Verdauung wird aus beiden Traubenzucker freigesetzt. Und das ist nun mal das Einzige, was unsere Hirnzellen als Nahrung akzeptieren. Deshalb muss der Körper seinen Zuckerspiegel so konstant halten, und deshalb ist auch eine Unterzuckerung so gefährlich.

Ansonsten lässt sich die Blut-Hirn-Schranke, mit der sich unser Gehirn vor unerwünschten Substanzen aus Nahrung und Nahrungsergänzungsmitteln schützt, eigentlich nur noch von Alkohol und Koffein ein Schnippchen schlagen; beide Substanzen werden problemlos durchgelassen. Insofern dürfen Schnapspralinen, Orangenlikör und Pharisäer dem Brainfood zugeordnet werden. Ballaststoffreiche Rohkost taugt leider nicht fürs Oberstübchen. Schade.

Kann Sex das leben verkürzen?

Das wohl beste Beispiel für einen Heldentod durch Sex liefert die Kleine Pinselschwanzbeutelmaus (Phascogale calura). Die Männchen sind wahre Don Juans und haben in der dreiwöchigen Paarungszeit im Juni nichts als Weibchen im Kopf. Im Juli ist die Orgie vorbei, und sämtliche Beutelmäuseriche sind mausetot.

Sex kann ganz schön anstrengend sein, besonders dann, wenn die Weibchen zahlreich sind, die Zeit knapp und die Konkurrenz groß ist. Derart gefordert, steigt das Cortisol im Blut der Männchen steil an. Da aus aktuellem Anlass natürlich auch das Männlichkeitshormon Testosteron Spitzenwerte erreicht, sind die Mäuseriche durch die beiden Hormone zwar high, hocken dem Tod aber schon auf der Schippe. Und beim Menschen? Wie Untersuchungen von über 11 000 Mönchen und Nonnen in bayrischen Klöstern ergeben haben, werden zumindest die Herren in klösterlicher Enthaltsamkeit älter als Männer mit ehelichen Pflichten – nämlich ebenso alt wie die Nonnen.

Macht Alkohol dick?

Na klar, werden Ihnen die Ernährungsexperten vorrechnen, denn 1 Gramm Alkohol enthält stolze 7,1 Kilokalorien an Energie. So weit die Theorie. In der Praxis hat die Alkoholzufuhr aufs Gewicht von Männern jedoch keinerlei Einfluss. Frauen mit mäßigem Alkoholkonsum sind sogar durchweg schlanker als Abstinenzlerinnen. Noch eindeutiger ist die Lage bei Alkoholikern: Statt allmählich zu verfetten, wirken sie in der Regel hager. Seither sucht die Fachwelt verzweifelt nach den „missing calories“, wie sie in der Fachsprache heißen. Die These, Alkohol mache dick, ist reine Propaganda. Studien sprechen für das Gegenteil: Etwas Alkohol senkt die Stresshormone im Blut, dadurch wird eine cortisolbedingte Gewichtszunahme gebremst.

Warum ist Rapsöl plötzlich so gesund?

Weil das Geschäft mit dem Biodiesel nicht so läuft wie erhofft. Wohin also mit dem Rapsöl – außer in den Magen der Verbraucher? Einen besonderen Wert hat das Öl weder für den Dieselmotor noch für unseren Körper. ..

Sollten wir uns dem gesellschaftlichen Zwang zur „gesunden Lebensweise" entziehen?

„Die größte Behinderung des Lebens liegt darin, ständigauf die Gesundheit zu achten“, wusste schon der antike griechische Philosoph Platon. Der katholische Kirchenlehrer Thomas von Aquin geht sogar noch einen Schritt weiter: „Gesundheit ist weniger ein Zustand als eine Haltung, und sie gedeiht mit der Freude am Leben“ – der alte Schürzenjäger musste es schließlich wissen.

Pfeifen Sie daher Ihrer Gesundheit zuliebe auf all die angstbesetzten Vorschriften. Wenn Sie dabei Ihren gesunden Menschenverstand nicht außer Acht lassen, sind Sie meist auf der sicheren Seite. Denn was für Sie persönlich gut ist, weiß außer Ihnen selbst sowieso kein Aas.

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