Explosions-Alarm an unseren Schulen!

Vergessene und falsch gelagerte Pikrinsäure im Klassenzimmer hält Bombenexperten in anderen Bundesländern in Atem: Es kam bereits zu ersten Sprengungen.
NÜRNBERG Diese Szenen sind derzeit fast normal an Schulen in Nordrhein-Westfalen und Berlin: Spezialisten der Landeskriminalämter – Männer, die normalerweise Bomben von Attentätern entschärfen – evakuieren Chemiesäle an Schulen. Der Grund: Pikrin-Säure, die zum Anfärben von Präparaten verwendet wird. Das Problem: Steht die Säure zu lange herum, verdunstet die Flüssigkeit. Was bleibt, sind hochexplosive Salze, die bei der geringsten Erschütterung explodieren können. An 15 Schulen im Kölner Raum, neun in Düsseldorf und zwei in Bonn mussten Entschärfer ausrücken und teilweise kontrolliert sprengen, in Berlin spricht die Polizei von „regelrechten Pikrin-Wochen“ mit bis zu fünf Einsätzen am Tag. Gefährlich: Auch in Bayern lagert die Säure in den Giftschränken der Schulen.
Das bayerische Kultusministerium wusste von nichts
Das Problem allerdings haben die bayerischen Behörden noch nicht erkannt. Während in Berlin und Köln seit einigen Wochen kontrolliert gesprengt und Schulen evakuiert wurden, wusste das Kultusministerium in München Ende dieser Woche noch nichts von dem Problem. „Es sind keine Vorfälle bekannt“, so eine Sprecherin. Wie auch, wenn sich die Kultusministerien untereinander scheinbar nicht austauschen.
Eine Gangart, die wohl auch die Landeskriminalämter pflegen: Während das LKA NRW mit den Einsätzen in Schullaboren nicht mehr nachkommt – die Arbeitszeiten der Entschärfer wurden auf ein Maximum ausgeweitet, auch die Bundespolizei hilft derzeit – hörte das LKA München durch die AZ zum ersten Mal von dem Problem. „Wir werden uns mit den Kollegen kurzschließen“, hieß es.
Auch im Nürnberger Schulamt ist es – vor allem in den Ferien – schwierig, an Informationen zu kommen. Der Referatsleiter ist im Urlaub, eine Liste der in Chemiesälen verwendeten Stoffe ist nicht greifbar.
Allein das Öffnen des Behälters kann eine Katastrophe auslösen
Vor allem in den 1970er und 80er Jahren wurden verstärkt Versuche mit Pikrinsäure gemacht. Mittlerweile gibt es alternative Versuche mit weniger gefährlichen Substanzen, zu denen auch der Bayerische Gemeindeunfallversicherungsverband rät, der die Schüler versichert: Richtlinie ist, dass Pikrin verwendet werden darf, aber nur in eingeschränkter Form. Schulversuche dürfen nur mit Pikrin in verdünnter Form vorgenommen werden. Es muss im Giftschrank deponiert werden.
Dort wird es meist so alt, dass die Flüssigkeit verdampft. Allein schon das Öffnen eines Behälters und die damit verbundene Reibung kann in diesem Zustand eine Explosion hervorrufen, die gewaltiger ist als die von TNT.
Nach den Berichten aus NRW und Berlin müssten bayerische Behörden längst alarmiert sein. E bleibt abzuwarten, wann Frankens Chemielehrer aus den Ferien zum Giftschrank-Check abgeordert werden.
sw
Mehr über das gefährliche Pikrin und seinen Einsatz an unseren Schulen lesen Sie in der Printausgabe Ihrer AZ am Wochenende, 16./17. August.