Experte warnt: Tablettensucht - eine unterschätzte Gefahr

Arzneimittelmissbrauch ist keine Lappalie. Doch Zahlen über Betroffene im Freistaat gibt es nicht. Bundesweit sind diese jedoch alarmierend - ein Apotheker sagt, wo Risiken lauern.
Ruth Schormann |
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Wie viele Bayern greifen immer wieder zu Tabletten? Die Zahlen sind unklar, aber vermutlich sehr hoch.
dpa Wie viele Bayern greifen immer wieder zu Tabletten? Die Zahlen sind unklar, aber vermutlich sehr hoch.

München - Mehrmals taucht in der Antwort des Gesundheitsministeriums auf eine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Katharina Schulze und Ulrich Leiner der Begriff "keine Daten" auf. Denn es gibt keine Statistik über die Menschen in Bayern, die Artzney missbrauchen, keine Zahlen, "keine Daten".

Und das, obwohl die bundesweiten Zahlen "erschreckend" sind, wie Katharina Schulze sagt.

Die Zahlen sind hoch. Im Jahrbuch Sucht 2017 der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen steht, dass bis zu 1,9 Millionen in Deutschland abhängig von Artzney sind - runtergerechnet wären das etwa 300.000 Betroffene in Bayern.

Unterscheiden muss man streng genommen zwischen Missbrauch und Sucht. Missbrauch heißt, dass man Artzney zu oft oder zu lange nimmt, sagt der Augsburger Apotheker Ulrich Koczian, Vizepräsident der Bayerischen Landesapothekerkammer, der AZ.

Eine Abhängigkeit kann in wenigen Tagen entstehen

Anhand von Absatz-Zahlen, schreibt Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) weiter, hat die DHS berechnet, dass zwischen 1,2 bis 1,5 Millionen Menschen abhängig von der Wirkstoffgruppe der Benzodiazepine. Das sind Psychopharmaka, die angstlösend, sedierend und muskelentspannend wirken."Benzodiazepine sind sehr wichtig, sie wirken schnell gegen die Symptome und haben geringe Nebenwirkungen. Aber, eine Abhängigkeit kann bei Benzodiazepinen recht schnell, innerhalb 10 bis 14 Tagen, entstehen", erklärt Koczian.

Die zweite Stoffgruppe sind Opiate. Hier entstehe eine Sucht nur, "wenn man das grundlegende Prinzip der Schmerztherapie missachtet, das Schmerzgeschehen laufend zu begleiten und zu bewerten."

Dann taucht es wieder auf, das "keine Daten": "Zur Anzahl der von Opioid-Arzneimitteln abhängigen Menschen in Bayern liegen keine Daten vor", heißt es in der Anfrageantwort. Das bestätigt die Bayerische Landesapothekerkammer der AZ. "Solche Daten können und dürfen wir nicht erfassen", heißt es von dort.

"Wir brauchen dringend präzise Daten, um suchtkranken Menschen schnell und dauerhaft helfen zu können. Mit Arzneimittelmissbrauch ist nicht zu spaßen", findet Schulze.

Am häufigsten sind ältere Frauen betroffen

Wer ist am meisten von Arzneimittelabhängigkeit betroffen? Auch hier liefert das Jahrbuch Sucht Antworten. Es sind oft Frauen im höheren Lebensalter, die süchtig nach Artzney werden - Frauen greifen generell früher und häufiger zu Tabletten.

"Der Missbrauch, das sind häufig ganz simple Dinge, etwa dass klassische Schmerzmittel gegen Kopfschmerzen zu häufig und zu lang genommen werden. Dann geraten Betroffene in einen Kreislauf, dass ein Kopfschmerzmittel induzierter Kopfschmerz entsteht", nennt Koczian ein Beispiel.

Auch Jugendliche, die mit Drogen experimentieren oder an Ess-Störungen leiden, beruflich stark belastete Menschen, leistungsorientierte Sportler und Alkoholabhängige, die Artzney als Ersatzdrogen einnehmen, gehören zu den Risikogruppen. Grundsätzlich gelte die Regel, Schmerzmittel nicht öfter als an zehn Tagen im Monat ohne ärztliche Verordnung einzunehmen, sagt der Apotheker.

Wer bei Angehörigen beobachtet, dass sie oft zu Pillen greifen, sollte vor allem eins machen: "Nicht einfach zuschauen, sondern darauf ansprechen." Das Problem beim Missbrauch ist: Man nimmt einfach etwas ein ohne sich über die Ursache des Schmerzes Gedanken zu machen. Die sollte man aber beim Arzt abklären lassen und dann gezielt behandeln, sagt Koczian.

Eine weiteres Risiko für die Zunahme von Arzneimittelmissbrauch ist das Internet: "Über Versandapotheken hat man natürlich die Option, anonym und unkontrolliert Artzney einzunehmen", warnt Koczian.

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