Interview

Experte über drohende Dürre: "Wir müssen lernen, mit weniger Wasser auszukommen"

Geograf Ralf Ludwig sieht wegen der Dürre die Versorgung mit Nahrungsmitteln in Europa in Gefahr, erklärt er im AZ-Interview.
von  David Lohmann
Ungewohnter Anblick in Niederbayern: Sandbänke an der gerade extremes Niedrigwasser führenden Donau.
Ungewohnter Anblick in Niederbayern: Sandbänke an der gerade extremes Niedrigwasser führenden Donau. © Armin Weigel/dpa

München - Der Freistaat steuert auf eine Dürre zu. Schon jetzt haben 90 Prozent der Flüsse Niedrigwasser. Unterfranken kann die Menschen nicht mehr mit eigenem Trinkwasser versorgen. Geograf Ralf Ludwig von der Universität München sieht in Zukunft auch die Nahrungssicherheit in Europa in Gefahr.

Er ist Professor für physische Geografie und Umweltmodellierung am Geografischen Institut der Münchner LMU.
Er ist Professor für physische Geografie und Umweltmodellierung am Geografischen Institut der Münchner LMU. © LMU

Die Frage, wer bei den drohenden Wasserrationalisierungen zuerst verzichten muss, werde schon bald hochpolitisch. Bisher gibt es aber trotz der volkswirtschaftlichen Kosten noch nicht einmal eine nationale Wasserstrategie. Drohen nach den explodierenden Energiekosten auch höhere Preise für Wasser? Und dürfen wir bei der Dürre in Südeuropa überhaupt noch dorthin in Urlaub fahren?

AZ: Herr Ludwig, der Klimawandel bleibt laut dem elften Millennial Survey des Wirtschaftsberaters Deloitte trotz aller aktuellen Krisen die größte Sorge junger Menschen. Wegen der Energiekrise nimmt die Politik darauf aber wenig Rücksicht. Ein Fehler?
RALF LUDWIG: Das ist tatsächlich ein Problem, weil es an ethische Grundsätze geht. Die Situation ist seit Februar dieses Jahres so, wie sie niemand erwartet hätte. Ich kann mir vorstellen, dass sich viele politische Verantwortliche sehr unwohl in ihrer Situation fühlen, weil inzwischen alle Parteien, vielleicht bis auf eine, den Klimawandel als große gesellschaftliche Herausforderung anerkennen. Das politische Tagesgeschäft muss derzeit auf akute Bedrohungen reagieren, darf aber die einschneidenden Folgen des Klimawandels nicht aus den Augen verlieren.

In Südeuropa herrscht seit Monaten eine extreme Trockenheit. In den Medien wird von der größten Dürre seit tausend Jahren gesprochen.
Tatsächlich sind momentan weite Teile Europas von einer außergewöhnlichen Hitzewelle und Trockenheit betroffen - vor allem Norditalien. Die Häufung und Intensität solcher Extreme machen eine Beteiligung des Klimawandels sehr wahrscheinlich. Aber es gibt natürlich nicht nur klimatische Gründe. Hinzu kommt ein steigender Wasserbedarf von Industrie, Landwirtschaft und den Haushalten. In jedem Fall haben wir es mit einer sehr bemerkenswerten Situation zu tun.

"Klimawandel äußert sich durch eine Häufung von Extremen"

Ab wann spricht man überhaupt von einer Dürre?
Das ist eine Frage der Perspektive. Wir unterscheiden zwischen meteorologischen Dürren, wenn Niederschläge über längere Zeit ausbleiben, hydrologischen Dürren, wenn Wasserstände in Flüssen und im Grundwasser deutlich sinken, und landwirtschaftlichen Dürren, wenn infolge von Trockenheit Ernteeinbußen auftreten. Aktuell verzeichnen wir an 90 Prozent der bayerischen Flusspegel Niedrigwasserstände - wir bewegen uns also ebenfalls auf eine umgreifende Dürre zu.

Neben Dürren nehmen auch Hochwasser, Sturzfluten und Starkregen zu. Wie passt das zusammen?
Dieses Argument wird von Gegnern des Klimawandels häufig und leider recht erfolgreich verwendet. Dabei ist das kein Widerspruch, im Gegenteil. Inzwischen verstehen wir immer besser, dass sich der Klimawandel nicht nur durch eine Verschiebung der Mittelwerte, sondern vor allem durch eine steigende Variabilität und somit durch eine Verschärfung und Häufung von Extremen äußert. Mehr Hochwasser und mehr Trockenheit in einer Region passen als Folge des Klimawandels also leider durchaus ins Konzept.

Welche Folgen hat das für die Nahrungssicherheit in Europa und für ärmere Länder?
Das ist eine der Königsfragen. Gerade Norditalien ist eine wichtige Anbauregion in Europa. Die Ernteausfälle in der momentanen Größenordnung sind eine Belastung für die Nahrungssicherheit. Natürlich lässt sich noch umverteilen und zukaufen. Wenn solche Regionen aber dauerhaft als verlässlicher Lieferant ausfallen, wird das natürlich auch überregional zu Umstellungen bei der Nahrungsmittelversorgung führen - also auch für den internationalen Markt.

Klimawandel verursacht Kosten von 6,6 Milliarden Euro pro Jahr

Wird das auch bei uns Auswirkungen auf unsere Ernährung in der Zukunft haben?
Die Frage nach der Rentabilität von bestimmten Anbauprodukten wird sich häufen. Es ist zu erwarten, dass zahlreiche landwirtschaftliche Betriebe wegen der steigenden Wasserknappheit ihre Nahrungsmittelproduktion anpassen müssen - auch in Deutschland. Es sind aber auch andere Trends zu beobachten: So haben einige Betriebe in Bayern erst kürzlich auf sehr wasserbedürftige Pflanzen wie Zucchini oder Gurken umgestellt; Grund ist hier sicher eine derzeit mögliche Maximierung der Gewinne.

Der Klimawandel verursacht hohe volkswirtschaftliche Kosten. Laut einer neuen Untersuchung des Bundeswirtschaftsministeriums liegen diese bei 6,6 Milliarden Euro pro Jahr. Deutschland hat aber noch nicht einmal eine nationale Wasserstrategie. Woran könnte das liegen?
Es braucht viel zu oft konkrete und dramatische Ereignisse wie Waldbrände oder das Ahrtal-Hochwasser, damit das Thema im Bewusstsein von Gesellschaft und Politik bleibt. Selbst bei einem Antrag für ein EU-Forschungsprojekt mussten wir kürzlich erst einmal Überzeugungsarbeit leisten, warum der Klimawandel für Unterfranken ein echtes und akutes Problem ist. Trotz eindeutiger wissenschaftlicher Erkenntnisse, vielfältiger Bemühungen und Initiativen sind die politischen Entscheidungs- und technischen Umsetzungsprozesse zu langsam, hier fehlen noch wichtige Innovationen. Allerdings bekommen wir mittlerweile viel Unterstützung, auch und vor allem aus den bayerischen Ministerien; hier bin ich zuversichtlich.

Wo verlaufen die Konfliktlinien?
Das größte Konfliktpotenzial liegt im Bereich der Landwirtschaft. Sie ist im globalen Vergleich mit 75 bis 90 Prozent der mit Abstand größte Süßwasserverbraucher. Ob im Falle von Wassereinsparungen und eventuell gar -rationalisierungen - die auch in Deutschland Realität werden können - zuerst die Landwirtschaft, die Industrie oder Verbraucher verzichten müssen, ist eine hochpolitische Frage.

Wie ist da denn die Lage in Bayern?
In Bayern ziehen bei dieser Frage selbst Landwirte und Weinbauern in keiner Weise am selben Strang. Dies zeigt, dass wir integrierte Lösungen entwickeln müssen, die allen Akteuren in Zeiten wachsender Wasserunsicherheiten von Nutzen sein werden.

Ganz schön leer: Trockenheit herrscht auch am Großen Brombachsee in Mittelfranken.
Ganz schön leer: Trockenheit herrscht auch am Großen Brombachsee in Mittelfranken. © Daniel Vogl/dpa

Und die Lösung?
Wir müssen lernen, mit weniger Wasser auszukommen. Dazu muss erstens die Politik notwendige Maßnahmen ergreifen. Zweitens müssen die bestehenden und aufkommenden Konflikte zwischen den wichtigen Akteuren aus Industrie, Landwirtschaft und Naturschutzbehörden in einem gemeinsamen Dialog gelöst werden. Und drittens braucht es neue und innovative strukturelle und naturbasierte Methoden und Maßnahmen, um krisenhafte Situationen zu vermeiden. Unterfranken ist schon jetzt nicht mehr imstande, ausreichend Trinkwasser aus der eigenen Region zu liefern und muss durch Fernwasserleitungen aus Südbayern unterstützt werden.

"Probleme sollten wir nicht nur provisorisch lösen"

Was kann Deutschland von Südeuropa lernen?
Auch dort wurde sehenden Auges in den nicht nachhaltigen Anbau investiert. Lernen könnte die Politik aus Südeuropa also vor allem auch, wie es nicht funktioniert und wie darauf reagiert wird. Wir sollten uns diese Kompetenz in Deutschland zunutze machen. Ein weiteres Vorbild wäre Nordafrika, wo die Situation noch prekärer ist. Dort ist man mit dem zielgerichteten Umgang mit Wasser schon länger vertraut: Seit Jahrzehnten wird das Konzept des Integrierten Wasserressourcenmanagements in vielen Fallbeispielen erfolgreich umgesetzt. Deren Erkenntnisse zeigen, dass wir als Gesellschaft aufkommende Probleme nicht nur provisorisch beheben, sondern das Übel an der Wurzel packen und unseren Wasserbedarf reduzieren und ein gemeinsames Wassermanagement anstreben sollten.

Wasserknappheit: Müssen wir unsere Urlaube überdenken?

Die Grünen im Landtag klagen, dass die Kommunen und der Gesundheitssektor in Bayern im Kampf gegen Hitze und Trockenheit von der Staatsregierung alleingelassen werden. Die Fraktion fordert daher Hitzeaktionspläne mit Warnsystemen, Hilfen für Risikogruppen, kühle Innenräume oder eine Stadtplanung mit mehr Schattenplätzen.
Es ist in der Tat so, dass wir hier auf massive Probleme zusteuern, auf die unsere Städte und Gemeinden nach meiner Einschätzung nicht hinreichend vorbereitet sind. Die Medizinforschung, allen voran die Professorin Claudia Traidl-Hoffmann vom Zentrum für Klimaresilienz an der Universität Augsburg, hat dieses Problem schon lange erkannt und ausführlich fach- und populärwissenschaftlich beschrieben.

Können wir angesichts der Wasserknappheit noch mit einem guten Gewissen nach Frankreich, Italien oder Spanien in den Urlaub fahren?
Das ist eine gute Frage. Statistiken belegen, dass Touristen mit Wasser deutlich verschwenderischer umgehen als Einheimische. Andererseits ist der Tourismus für die Volkswirtschaft in vielen südlichen Ländern deutlich einträglicher als die Landwirtschaft. Aus Sicht der Umweltverträglichkeit sollte man seine Urlaube wirklich überdenken. Aber das sagt jetzt einer, der selbst eine Reise nach Italien geplant hat.

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