Experte: Den Todesfahrer darf man nicht alleine lassen

Nach dem Unfall von Roth: Psychiater Dr. Oliver Kratz erklärt, wie die Eltern der toten Jungs mit der Frage der Schuld umgehen sollten.
von  Abendzeitung
Der Baum zwischen Barnsdorf und Roth, an dem drei Jungs am vergangenen Donnerstag starben, ist zur Pilgerstätte für die hinterbliebenen Freunde geworden.
Der Baum zwischen Barnsdorf und Roth, an dem drei Jungs am vergangenen Donnerstag starben, ist zur Pilgerstätte für die hinterbliebenen Freunde geworden. © Berny Meyer

Nach dem Unfall von Roth: Psychiater Dr. Oliver Kratz erklärt, wie die Eltern der toten Jungs mit der Frage der Schuld umgehen sollten.

ROTH/ERLANGEN Wie lebt man als 17-Jähriger weiter, wenn man drei seiner Kumpel in den Tod gefahren hat? Wie geht man mit der Schuld um, mit der Verantwortung? Und wie können die verwaisten Eltern damit leben, dass ihre Jungs durch einen Dumme-Jungen-Streich ums Leben kamen? Der tragische Unfall bei Roth in der vergangenen Woche wirft noch viele Fragen auf. Fragen, die Dr. Oliver Kratz, Leitender Oberarzt der Kinder- und Jugendabteilung für Psychische Gesundheit am Uni-Klinikum Erlangen, beantwortet.

Dennis (17) saß am Steuer, als er ohne Führerschein gegen einen Baum raste. Den Schlüssel zum Ford hatte er seinem Vater gestohlen. David (15), Tom (16) und Berkim (16) starben, Erkan (16) wurde schwer verletzt. „Die Tat“, so Kratz, „geschah fahrlässig, er hat keinen ,Anschlag’ geplant“, unterscheidet der Psychiater. Ein wichtiger Punkt, um mit der Schuld zu leben. „Der Anteil, den das ,Schicksal’ an diesem Unfall hat, ist sehr hoch – das kann ihn, bei aller Schuld, entlasten.“

"Es war nicht allein Dennis' Schuld"

Kratz kennt die Sorgen von Jugendlichen, wenn eine solche Tragödie geschehen ist. „Es taucht auch die Frage auf: Warum habe ich das überlebt und meine Freunde nicht? Dennis darf man jetzt mit seiner Angst und Verantwortung nicht alleine lassen. Im Idealfall spricht er nicht nur mit Vertrauten, sondern auch mit Profis darüber.“

Kratz relativiert auch die alleinige Schuld von Dennis. „Ich gehe davon aus, dass er seine Kumpel nicht gezwungen hat. Er hat einen Blödsinn gemacht, den theoretisch auch jeder andere hätte begehen können. Das relativiert die persönliche Schuld, es ging um die Handlung einer Gruppe – die anderen vier haben zugestimmt.“

Drei Eltern trauern nun um ihre Söhne, die Gefahr ist groß, dass sie in Dennis den Alleinschuldigen sehen. „Auch wenn Eltern ihre Kinder durch andere Gründe verloren haben, so suchen sie manchmal nach Schuldigen. Sollte sich die Wut in unangemessener Art und Weise gegen Dennis oder seine Familie richten, empfehle ich, dass sich die Eltern professionelle Hilfe suchen.“

Heute und morgen werden die Jungs zu Grabe getragen. Doch auch wenn Dennis um seine drei Freunde weint, so hält es Kratz für vernünftiger, wenn er der Beerdigung fernbleibt. „Grundsätzlich sind Abschiedsrituale sinnvoll. Doch Dennis kann sich nicht einfach in die Gruppe der Trauernden einreihen. Es kann passieren, dass – egal, wie irrational das ist – die Wut über den Verlust ihm entgegenschlägt. Es würde seinen Trauerprozess nicht beeinträchtigen, wenn er später zu den Gräbern geht.“

Susanne Will

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