Ex-Klosterschüler berichtet: So war es in Ettal
Wenn der heute 62-jährige Dramaturg über seine Zeit in Ettal spricht, erinnert er sich an die Angst, die Strenge und den Druck, mit der die Patres ihre Schüler erzogen. Aber auch an die „starke Gemeinschaft“, die er in der oberbayerischen Oberschule erlebte.
ETTAL Gymnasium Ettal, Abiturjahrgang 1966, Otto Huber aus Oberammergau hat die Schule neun Jahre lang als sogenannter Externer besucht. Der 62-jährige Dramaturg der Passionsspiele 2010 sagt: „Es war ein Klima aus Furcht und Ehrfurcht.“ Wenn er daran zurückdenkt, hat er gemischte Gefühle – da waren Angst und große Strenge, mit der die Patres ihre Schüler erzogen. „Ich habe vor Angst Blut und Wasser geschwitzt.“ Andererseits gaben die Lehrer den Buben eine exzellente Bildung mit.
„Ich habe noch die starke Gemeinschaft dort erlebt“, sagt Huber. Viele adelige Sprösslinge besuchten das Internat. Das Klima war extrem streng. Huber fing an zu stottern, so groß war der Druck. Natürlich gab es auch sehr gute und integre Lehrer, etwa Pater Willibald, der mit den Schülern Eishockey gespielt hat.
Auch an Pater M., der gestorben ist und ein Missbrauch-Geständnis hinterlassen hat, erinnert sich Huber. „Mit ihm hatten wir viel Spaß, manchmal hat er Kopfnüsse gegeben.“ Anfang der 60er lernte Huber ihn als kumpelhaften Typ kennen. Über Sex, gar Homosexualität wurde nie gesprochen.
„Aber es gab diesen einsamen Spaziergänger“, erinnert sich Huber. Ein Pater, der sich einem Schüler sexuell genähert haben soll – und fortan isoliert wurde. Warum das so war, „davon hatten alle eine dunkle Ahnung.“ Es gab später auch einen Pater, der bei der Lossprechung nach der Beichte den Kopf des Beichtenden auf seinen Bauch gezogen und festgehalten hat. Homosexualität galt als Sünde, Huber: „Auf einem Wandertag wollte ein Schüler von einem anderen einen ,Hugo’ haben, so nannten wir Zigaretten. Der Abt glaubte, das sei etwas Unsittliches – und brach’ den Wandertag ab.“
Bis Mitte der 60er verstanden sich die Absolventen als Netzwerk und eingeschworene Gemeinschaft. Zahlreiche Mitschüler von Huber haben glänzende Karrieren gemacht. „Einer ist Neurologieprofessor, ein anderer ein renommierter Kunsthistoriker.“
Ende der 60er Jahre regte sich der Protest. „1967 gab es die erste bittere Abiturrede“, erzählt Huber. Ein Aufbegehren gegen die Strenge und Weltferne. Der Umgang wurde lockerer, eine Kneipe eingerichtet. Doch damit wurden die Versuchungen wohl erst richtig groß.
Katharina Rieger
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