Erotik auf dem Zauberberg

Beim 13. Comic-Salon werden in Erlangen 25000 Besucher und 300 Zeichner erwartet. Aus der Schund-Ecke ist die „Neunte Kunst“ ein Vierteljahrhundert nach der nicht überall einhellig begrüßten Erstbegegnung in Erlangen schon längst heraus.
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Mang aus dem Reich der Mitte: Benjamin ist einer von 15 chinesischen Künstlern, die das Lebensgefühl eines boomenden Regimes erstmals in Erlangen.
NBGPC Mang aus dem Reich der Mitte: Benjamin ist einer von 15 chinesischen Künstlern, die das Lebensgefühl eines boomenden Regimes erstmals in Erlangen.

Beim 13. Comic-Salon werden in Erlangen 25000 Besucher und 300 Zeichner erwartet. Aus der Schund-Ecke ist die „Neunte Kunst“ ein Vierteljahrhundert nach der nicht überall einhellig begrüßten Erstbegegnung in Erlangen schon längst heraus.

Der Kulturmanager läuft durch die leeren Siemens-Hallen voraus. Christophe Blain, der aufstrebende Jungfranzose, wird hier ausstellen, und Reinhard Kleist, der Deutsche, der Johnny Cashs Biographie schon vor Hollywood zeichnete und der mehrfach zu den diesjährigen Nominierten des Max-und-Moritz-Preises gehört. Sieben Sonderschauen auf drei Stockwerken platziert Bodo Birk, der Festivalmacher, in den Museumswinkel beim 13. Internationalen Comic-Salon, der sich vom 22. bis 25. Mai mehr denn je über die Erlanger Innenstadt ausbreitet (Eröffnung ist Fronleichnam, 12 Uhr). Und verstärkt mehr sein möchte als der Markt der Möglichkeiten mit der „größten Comic-Messe Deutschlands“ im Zentrum. 25000 Besucher erhofft sich Birk (s. Interview) für das Spektakel, das auf 15000 Quadratmetern aus den Reibungsflächen von Kunst und Kommerz neue Funken schlagen will. 300 Künstler skizzieren und signieren dazu.

Ralf König und ©Tom gehören ebenso zu den Gästen wie Literatur-Nachteule Denis Scheck, der zum zweiten Mal die Preis-Gala moderiert. Ganze Umzugskartons an diskussionswürdigen Büchern – „so viele wie noch nie“ – waren heuer im Vorfeld bei der Jury unterwegs. Ein paar Sieger im warmen Preisregen stehen allerdings schon fest. Hansrudi Wäscher („Sigurd“) und Hannes Hegen („Digidags“) werden als deutsch-deutsches Phänomen gewürdigt. Der Brite Alan Moore und seine erotischen Zauberberg-Phantasien der „Lost Girls“, ist „Lebenswerk“-Sieger. Und vielleicht ein Beispiel für die allerneueste von Buchverlagen heftig aufgegriffene Bewegung der „Graphic Novels“, dass Comics nicht in Kunstmuseen, sondern in die Literaturhäuser gehören.

Aus der Schund-Ecke ist die „Neunte Kunst“ ein Vierteljahrhundert nach der nicht überall einhellig begrüßten Erstbegegnung in Erlangen schon längst heraus. Auch wenn das „Klischee der lustigen, bunten Geschichten“ sich bei Außenstehenden hartnäckig hält und der Comic nur bei Massen bewegenden Hypes wie Asterix, amerikanischen Super-Helden und Manga-Girlies seine vielförmige Nische verlassen hat, gibt Bodo Birk zu bedenken.

So ist der Umgang mit den Verlagen, die früher mit dem Aufmarsch ihrer Stars in die eigene Zukunft investierten, weiterhin problematisch. Auch wenn aufstrebende Independent-Verlage verdeutlichen, dass es in „kleinen Schritten“ vorangeht. Wunsch-Gäste wie die 15 Chinesen von Benjamin bis Pocket Chocolat, denen dieses Mal für ihre Geschichten zwischen Mega-City-Tristesse und Kalligraphie-Weiterwirken der große Saal der Lades-Halle reserviert ist, muss das Salon-Management deshalb aus dem eigenen 400000 Euro-Etat tragen. Der Stadt ist das zunehmend prestigeträchtige Unternehmen 170000 Euro wert.

Von einer „ganz starken Umbruchsituation“ mit stagnierendem Besucherverhalten spricht man in Erlangen. Mit einem Netzwerk von Aktivitäten – Filmreihen, Podien im Stundentakt, Theater, Ausstellungen – will der Salon Quereinstiege schaffen. Die ersten Vorboten sind schon da: Wilhelm Busch, der „Ur-Vater des deutschen Comic“, und seine Humoristen-Erben im Stadtmuseum, Toni Burghart und „Young Boys“ im Kunstmuseum und der Kasseler Kunstprofessor Hendrik Dorgathen in der Städtischen Galerie. Der trifft mit Sex und Gewalt zwischen Kunst und Kommerz eines der weiterhin auffälligen Themen der Sparte.

Andreas Radlmaier

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