Erfolgsmodell Bezahlkarten-Tausch: So bekommen Geflüchtete mehr Bargeld
Seit über einem Jahr erhalten Asylsuchende in Bayern eine Bezahlkarte und quasi kein Bargeld mehr: Mittlerweile können sie jedoch in allen Regierungsbezirken im Freistaat Bargeld eintauschen.
Das Tauschmodell Gutscheine gegen Bargeld sei sehr erfolgreich, mittlerweile auch bundesweit, sagt Katharina Grote vom bayerischen Flüchtlingsrat. "Wir sind froh, dass wir damit zeigen können, dass wir solidarisch bleiben, uns nicht spalten lassen und nicht zulassen, dass die Geflüchteten zum Ziel einer Sündenbock-Politik werden."
Bezahlkarte wird mit 50-Euro-Gutscheinen getauscht
Das Netzwerk hinter der Aktion namens "Offen!" hat die Initiative vor einem Jahr ins Leben gerufen. An den Tauschstationen können Asylsuchende Gutscheine im Wert von 50 Euro, die sie mit der Bezahlkarte etwa bei Supermärkten gekauft haben, gegen Bargeld eintauschen.
Die Gutscheine werden wiederum von engagierten Bürgern bei der Tauschstelle gekauft – wodurch auch wieder neues Bargeld vorhanden ist. Zu dem Netzwerk gehören unter anderem Amnesty International, die Caritas und Pro Asyl.
Täglich über 100 Bargeld-Tausche in München
Insgesamt gibt es in München sechs Tauschstellen. Im Rest Bayerns sind es inzwischen 18 – vor einem halben Jahr waren es noch elf. Beispielsweise in München habe jeden Tag eine der Tauschstationen für zwei Stunden geöffnet, sagt Grote. Pro Tag kommen 100 bis 130 Menschen, um Bargeld einzutauschen. Um lange Wartezeiten zu verhindern, sei mittlerweile sogar eine digitale Warteschlange eingerichtet worden.
Matthias Weinzierl, Sprecher von "Offen!", sagt der AZ: "Eine unserer Ehrenamtlichen hat eine App entwickelt, wo Leute sich anmelden können und sehen, wann sie dran sind."

Grote sagt: "Die Bezahlkarte hat massive Auswirkungen auf Geflüchtete, sie diskriminiert sie im Alltag". Grundsätzlich kann man mit der Bezahlkarte überall zahlen, wo Kreditkartenzahlung möglich ist. Das allein sei auf dem Land aber schon eine Einschränkung. Darüber hinaus könne man mit der Karte beispielsweise in vielen "Community-Läden" nicht bezahlen – also dort, wo Asylsuchende Essen aus ihren Herkunftsländern kaufen können.
Bayern hat die Bezahlkarte als erstes Bundesland eingeführt
Da gehe es auch um Selbstbestimmung der Menschen, so Grote. Ähnliche Einschränkungen gelten für Flohmärkte oder Online-Plattformen für Kleinanzeigen, wo Asylsuchende günstiger einkaufen könnten. Bose aus Nigeria ist Asylsuchender in Deutschland und lebt aktuell in München. Der 48-Jährige sagt, er gehe mindestens einmal im Monat zu einer der Tauschstationen. Die Bezahlkarte sei an vielen Orten nicht einsetzbar. Er brauche das Geld unter anderem, um einen Anwalt bezahlen zu können.

Bayern hatte die Bezahlkarte im März vergangenen Jahres als eines der ersten Bundesländer eingeführt. Migranten erhalten damit einen Teil der staatlichen Leistungen zum Lebensunterhalt als Guthaben über die Karte und entsprechend weniger Bargeld. Damit soll unter anderem verhindert werden, dass Migranten Geld an Schlepper oder Familie und Freunde im Ausland überweisen.
Asylbewerber können maximal 50 Euro in bar abheben
Pro Monat können Asylbewerber maximal 50 Euro in bar abheben, begründete Ausnahmen sind möglich. Online-Käufe sind – anders als in anderen Bundesländern – jedoch nicht, Überweisungen nur teilweise und Geldtransfers gar nicht möglich. In Bayern kann der Einsatz der Karte darüber hinaus auf den Landkreis beziehungsweise die Stadt begrenzt werden, in denen die Geflüchteten ihren Wohnsitz haben.

Nach der Einführung der Bezahlkarte für Asylbewerber in Bayern sei die Zahl der freiwilligen Ausreisen massiv angestiegen, betont die Staatsregierung. Die Zahl habe sich im Zeitraum Juli 2024 bis Dezember 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um knapp 30 Prozent erhöht, teilte das Innenministerium in München mit.
Da bei der Ausreise von Migranten keine Motivation für diese erhoben wird, ist ein Zusammenhang mit der Bezahlkarte aber nicht belegt. Weinzierl von "Offen!" sagt deshalb: "Wir sind der Meinung, die Karte gehört abgeschafft."
CSU spricht von "linker Umgehungs-Industrie"
Die Tauschaktionen lösten in Bayern zum Start viel Ärger bei der CSU aus. Die Partei kündigte an, sie zu verbieten und unter Strafe zu stellen. Von einer "linken Umgehungs-Industrie" war die Rede. Auf Nachfrage heißt es vom Innenministerium, dass eine bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit nach der aktuellen Rechtslage noch nicht vorliege, aber geschaffen werden könne.
Hierfür müsse jedoch der Bundesgesetzgeber tätig werden. "Wir begrüßen daher, dass sich die neue Bundesregierung im Koalitionsvertrag neben der flächendeckenden Einführung in ganz Deutschland auch auf eine Beendigung der Umgehungen verständigt hat."
Initiative überzeugt: Verbot lässt sich nicht umsetzen
Aktivist Weinzierl sieht das entspannt: "Unsere Juristinnen haben gesagt, ohne Weiteres geht das gar nicht." Den Kartentausch zu verbieten, sei ein massiver Eingriff in Persönlichkeitsrechte. "Mit welchem Dreh sie daraus eine strafbare Handlung machen wollen, sind wir sehr gespannt, was ihnen da einfällt."
Anfeindungen in der täglichen Praxis erlebten die ehrenamtlichen Helfer nicht, sagt Weinzierl. Ganz im Gegenteil: "Wenn man den Leuten erklärt, was wir machen, verstehen sie es auch."
Nachdem sich 14 der insgesamt 16 Länder Anfang vergangenen Jahres auf gemeinsame Standards für die Bezahlkarte geeinigt hatten, ist sie in mittlerweile fast allen Bundesländern gestartet.
Aber nicht überall gleich umgesetzt: In Nordrhein-Westfallen können sich Kommunen etwa weigern, die Bezahlkarte umzusetzen. Ein Beispiel dafür ist die Stadt Aachen. In Bayern geht das jedoch nicht, erklärt Weinzierl: "Der Freistaat übernimmt die Kosten für die Bezahlkarte komplett. Für die Kommunen gibt es so keinen Spielraum, sonst müssten sie es selber zahlen."
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