Er will ja nur spielen

Sehenswerte Merkwürdigkeiten in der Nürnberger Kunsthalle: Wenn die Position eines Kreativdirektors im Baumarkt zu besetzen wäre, der listige Franzose Mathieu Mercier wäre der geeignete Kandidat.
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Die Welt begreifen – mit riesigen Händen: Mathieu Mercier mit „Homonculus“ (oben) und „archäologischen“ Plattenspielern.
Berny Meyer Die Welt begreifen – mit riesigen Händen: Mathieu Mercier mit „Homonculus“ (oben) und „archäologischen“ Plattenspielern.

NÜRNBERG - Sehenswerte Merkwürdigkeiten in der Nürnberger Kunsthalle: Wenn die Position eines Kreativdirektors im Baumarkt zu besetzen wäre, der listige Franzose Mathieu Mercier wäre der geeignete Kandidat.

Gleich im ersten Raum der Nürnberger Kunsthalle werden Bohrlöcher in der Wand zur malerischen Sprechanlage, Regal-Skelette aus Pressspan zur unfertigen Wohnanlagen-Utopie mit Wegwerf-Charme und ein rätselhafter Gipskegel mit zahlreichen Öffnungen und Verbindung zum Stromnetz wird – na? – zur „Mehrfachsteckdose“. Alles in Obi? Von wegen.

Ganz schön absurd, schön und absurd, wie sich der 37-Jährige bei seiner ersten deutschen Werkschau mit dem weitreichenden Titel „Ohne Titel 1993 – 2007“ durch die Gedächtnisschichten jüngerer Kunstgeschichte bohrt – vom Bauhaus zu Ikea und einmal gedankenkurvenreich zurück. „Es gibt tausend Möglichkeiten, dich blind zu machen“, sagt der Künstler. Und macht da nicht mit. Stattdessen blickt er in Schaufenster einer merkwürdigen Warenwelt. Lehnt eine Euro- Palette lässig an die Wand – ein sauberes Baswelwerk aus weißem Furnier. Stellt ein Fenster in den Raum – es ist samt Rahmen aus Plexiglas. Hängt als Reminszenz an seinen ersten Nürnberger Auftritt nochmals den verchromtenMotorradhelm mit Raumspion- Funktion auf. Und stellt einen Allerwelts-Gartenstuhl aus weißem Plastik neben die weiß bepinselte Kopie eines Design-Klassikers.

Zeit als Neonröhren-Skulptur

Branchengerechte, stelzende Gebrauchsanweisung: „Anachronistische Gegenüberstellung zweier emblematischer Formen ihrer Zeit“. Er will ja nur spielen – mit Ritualen. Mit der Zeit, die als Neonröhren-Skulptur wie bei Bruce Nauman vergeht. Mit den Sinnen, wenn er in eine Ecke einen bronzenen „Homonculus“ stellt, einen „neurowissenschaftlichen Apoll“ mit riesigen Händen, der zeigt, wie wir die Welt wirklich begreifen. Mit einer Seegurke im schwindelerregenden Aquarium („Primitives Wesen, das in einer Nobelherberge lebt“), mit Ästhetik, Duchamps Readymade-Vorreiterei und Mondrians Echo im Baumarkt-Sortiment, wo Wasserwaage und Stapelbox die strenge Farbordnung ersetzen. „Boogie Woogie“ (Mondrian) heißt jetzt „Drum and Bass“ (Mercier).

Es sei alles viel einfacher als es erscheint, sagt Mercier. Denkste! Zwischen Lampen- Lasso und Minimal-Skulptur (Teppichrolle trifft Grabstein) entdeckt man unter den 90 Objekten auch Schwarzweiß- Fotos, die als kosmisches Licht erscheinen, aber Spiegelungen auf Motorhauben sind. Der Himmel liegt auf der Straße. Oder im Baumarkt.

Andreas Radlmaier

Kunsthalle (Lorenzer Str. 32): Eröffnung am Mittwoch, 20 Uhr, bis 6.April, Di-So 10-18 Uhr, Mi bis 20 Uhr. Katalog: 29 Euro

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