Er ist der letzte Mitarbeiter der alten Straßenbahnwerkstatt

VAG-Mann durch und durch: 29 Jahre lang arbeitete Wolfgang Ahl (50) in dem riesigen Komplex in Muggenhof. Bald zieht SÖR ein.
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Der letzte Mohikaner aus der VAG-Truppe: Wolfgang Ahl (50) schließt den Werkstattkomplex in Muggenhof.
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Hier ließ die VAG ihre Straßenbahnen warten: der riesige Gebäudekomplex in Muggenhof aus der Vogelsperspektive.
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Hier zieht bald die Superbehörde SÖR ein: In der riesigen Werkstatthalle hängen noch die alten Kranhaken für die Straßenbahnen.
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Funktional und mit einem Hauch gemütlicher Privatshäre: So hat sich Wolfgang Ahl sein Hausmeister-Kontor eingerichtet.
bayernpress.com 4 Funktional und mit einem Hauch gemütlicher Privatshäre: So hat sich Wolfgang Ahl sein Hausmeister-Kontor eingerichtet.

VAG-Mann durch und durch: 29 Jahre lang arbeitete Wolfgang Ahl (50) in dem riesigen Komplex in Muggenhof. Bald zieht SÖR ein.

NÜRNBERG Es ist die einzige Uhr die noch tickt, in der Stille. Mit einem Blick auf sie sagt Wolfgang Ahl: „Und genau hier stand meine Werkbank.“ Mit den Händen zeigt er ihre Außenmaße. Der Blick, halb über die Schulter geworfen, hilft ihm sich zu orientieren in dem großen leeren Raum. Er hat immer von hier zur Uhr geblickt, 29 Jahre lang. Der Blick ist Routine, die Bewegung Automatismus.

Wolfgang Ahl (50) ist der letzte Arbeiter auf dem sechs Fußballfelder großen Gelände der ehemaligen Straßenbahnhauptwerkstatt in der Fuchsstraße 20. Bis 2003 reparierte die VAG in den drei Hallen die Straßenbahnen. Bald soll Nürnbergs neue Superbehörde SÖR (Service Öffentlicher Raum) mit 950 Beschäftigten einziehen, nach einem 24-Millionen-Umbau.

Bis dahin ist Wolfgang Ahl der Herr über die Räume und die Zeit. Die hat er genau um 12 Uhr gestoppt: Alle Zeiger stehen still, auf den vier großen Turmuhren und auf den Kleinen in den leeren Werkshallen. „So, als ob wir jederzeit wieder anfangen können“, sagt Ahl. Er steht mitten in der Instandsetzungshalle und klappert mit dem Schlüsselbund in der Tasche seiner blauen VAG-Jacke.

Einst reparierten hier über 100 Menschen die Nürnberger Straßenbahnen, die durch zehn riesige Tore in die Instandsetzungshalle ratterten. Die gesamte Halle war mit dem Lärm von Schleifgeräten, dem Summen der 10-Tonnen-Kräne und dem Hämmern der vielen Mechaniker erfüllt. Jetzt ist es still. Aber man riecht die Arbeit noch. Es riecht nach Öl, nach Metall und nach Schmierfett.

Wolfgang Ahl hat vor 29 Jahren bei der VAG angefangen, einen Großteil davon hier in Muggenhof gearbeitet. Ein VAG-ler durch und durch. Schon sein Vater arbeitete in der Hauptwerkstatt: „Mit drei oder vier Jahren war ich schon hier.“ Sein Vater hat ab und zu als Nachtpförtner ausgeholfen – damals wurde noch rund um die Uhr an den „Strabas“ gearbeitet. „Da war ich immer abends da, bis mich meine Mutter abgeholt hat.“ Nach seiner Ausbildung hat er hier die Großmaschinen gewartet. Jetzt arbeitet er in der U-Bahn-Werkstatt.

Aber so richtig kann er sich nicht von dem Gebäude verabschieden – das immer noch leise lebt, als eine Erinnerung. Es knackt ab und zu, wenn sich das Metall des Daches ausdehnt oder zusammenzieht. Die Hallen sind warm, auf den Schiefertafeln kann man noch die Namen der Arbeiter lesen: „Den Schlüssel hat Zeitler M.“, ist da in krakeliger Schrift geschrieben. Ein Stuhl steht mitten in der Halle, so als würde er darauf warten, dass jemand auf ihm Pause macht.

Der letzte VAG-Arbeiter auf dem ehemaligen Werkstattgelände hat einen eigenen Stuhl und einen Schreibtisch – in seiner ehemaligen Werkstatt, einem rund 100 Quadratmeter großen Raum. Der Tisch steht genau neben dem Platz, wo früher seine Werkbank stand. Der Tisch ist mit einem Mini-Plastikweihnachtsbaum geschmückt, auf ihm liegt ein Ordner. In dem notiert er mit Schönschrift seine Kontrollgänge. Die Uhr tickt in der Stille.

Immer noch sind einige Kriegsschäden zu sehen

Doch vor dem inneren Auge von Wolfgang Ahl ist die Werkstatt voll mit seinen Kollegen. „Da drüben war die Drehmaschine, da vorne das Meisterbüro“. Für ihn ist das Gelände nicht leer. „Wenn ich hier durchgehe, sehe ich oft meine Kollegen, sehe wie sie arbeiten und lachen“, sagt er. Und meint: Ich erinnere mich an sie.

Wolfgang Ahl sagt zwar, dass ihm hier „kein Stein gehört.“ Aber es ist sein Gelände. Er kennt alle Geschichten, wie die vom riesigen Brauchwasser-Tank, ganz oben im Turm, 134 Treppenstufen hoch. An dessen Ausfluss hängt ein Schild: „Revision 27. 6. 1946“. „Da haben sich im Sommer die Lehrlinge immer hochgeschlichen und gebadet. Bis sie der Meister erwischt und zusammengestaucht hat“, erzählt Wolfgang Ahl.

Sein Finger zeigt auf die zugeschweißten Löcher im Stahl-Tank: „Das sind Granatsplitter aus dem Krieg“, erklärt er. Geht man zwei Leitern weiter nach oben, steht man im ehemaligen Uhrenhaus des Turmes. Dort, wo Wolfgang Ahl die Uhren angehalten hat. Eine weitere Leiter und man ist ganz oben.

Wolfgang Ahl öffnet die Fensterläden. Unten liegt Nürnberg, Fürth, am Horizont sieht man Erlangen. Lässt man den Blick in die andere Richtung schweifen, sieht man die Burg über der Altstadt thronen.

Doch Ahl interessiert sich nicht für den überwältigenden Ausblick. Er kontrolliert von hier oben das Dach. Und zeigt stolz auf die beiden armspannengroßen gußeisernen Glocken: „Das ist die Stundenglocke, und das ist die Viertelstunden-Glocke.“ Mit einem Lächeln lässt er den schweren Klöppel auf die Glocken sausen. Sie sind das einzige, was sich seit langer Zeit im Turm bewegt.

Wieder in der Instandsetzungshalle schließt Wolfgang Ahl sorgfältig alle Türen. Er geht langsam zum Ausgang, dreht sich um und wirft noch einmal einen Blick in die Halle. Dann macht er das Licht aus.

Martin Mai

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