Er hat Geschichte mitgeschrieben: Ein BMW-Mann der ersten Stunde

Michael Aigner, 82 Jahre alt und ehemaliger BMW-Mitarbeiter, blickt stolz auf seine Zeit im Werk Dingolfing zurück. Vom ersten bis zum fünf-millionsten produzierten BMW hat der Kfz-Meister aktiv Geschichte mitgeschrieben.
Johannes Bäumel |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Kfz-Mechanikermeister Michael Aigner schaut durch ein jahrzehntealtes BMW-Fotoalbum und erinnert sich an die Anfangszeiten in Dingolfing.
Kfz-Mechanikermeister Michael Aigner schaut durch ein jahrzehntealtes BMW-Fotoalbum und erinnert sich an die Anfangszeiten in Dingolfing. © Johannes Bäumel
Carbonatix Pre-Player Loader

Audio von Carbonatix

Wenn Michael Aigner im Fotoalbum blättert und über seine Zeit bei BMW in Dingolfing spricht, leuchten seine Augen. Der 82-jährige Landauer hat ein Stück Automobil-Geschichte miterlebt und mitgeschrieben. "Vom ersten bis zum fünfmillionsten BMW im Werk Dingolfing war ich dabei", sagt der Rentner stolz. Er erzählt, welches Modell heute in seiner Garage steht und warum er früher nie ohne Stethoskop auf die Autobahn gefahren ist.

Bevor er BMW die ewige Treue schwor, fuhr der gebürtige Haunersdorfer noch einen Opel Corsa. Das hat mit seiner Ausbildung zu tun. Beim Autohaus Opel Lang in Landau absolvierte er seine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker. Nach der Meisterschule in München und einer Tätigkeit als Werkstattleiter im Autohaus Neuried im Kreis München änderte sich sein beruflicher Weg – und damit sein ganzes Leben. "BMW hat damals Leute gesucht, vor allem Führungskräfte. Ich als Kfz-Mechanikermeister wurde mit Handkuss genommen", erzählt der heute 82-Jährige.

Vor knapp 50 Jahren beginnt Aigners Karriere in Dingolfing

Das Datum 2. Januar 1973 ist in seinem Album zu lesen. An diesem Tag wurde er für das Werk Dingolfing eingestellt. "BMW galt als attraktiver Arbeitgeber und ein Job dort als sichere Stelle. Ich wollte mir in Landau ein Eigenheim bauen und habe mir diese Chance nicht entgehen lassen", sagt Aigner. Zur Einarbeitung ging es für ein halbes Jahr nach München. Dingolfing befand sich noch im Aufbau.

Erst am 27. September 1973 startete BMW im damals neu erbauten Werk Dingolfing die Fahrzeugproduktion – mit der ersten Generation der 5er-Baureihe. Wenige Jahre zuvor hatte das Unternehmen den niederbayerischen Automobil- und Landmaschinenhersteller Hans Glas übernommen und zwischen 1970 und 1973 ein von Grund auf neues Automobilwerk auf der grünen Wiese, nördlich der ehemaligen B11, hochgezogen.

"Mir war bewusst, dass wir gerade Geschichte schreiben"

Ölpreiskrise, Sonntagsfahrverbote – der "Stapellauf" des ersten in Dingolfing produzierten BMW fiel in eine wirtschaftlich schwierige Zeit. Die positive Entwicklung innerhalb der nächsten Jahre sollte Kritiker schnell eines Besseren belehren. Aigner war von vorneherein überzeugt und glaubte an den BMW-Standort Dingolfing.

"Mir war bewusst, dass wir gerade Geschichte schreiben“, sagt der Kfz-Meister über den Moment, als der knallrote 520er-BMW als erstes Fahrzeug das Dingolfinger Werk verlassen hat. "Der hat noch nicht viel Sonderausstattung gehabt", erinnert sich Aigner und lacht. "Der hatte vier Räder, ein Gaspedal, ein Lenkrad und eine Bremse." Er kostete 12.000 Mark. Schiebedach, ABS und beheizbare Heckscheibe waren als Sonderausstattung gegen Aufpreis erhältlich.

Aigner leitete damals die Prüfzone und war verantwortlich für die Nachreparaturen. "Das ging alles von Hand – nicht automatisch. Wir hatten noch keine Rollenprüfstände", erzählt der 82-Jährige. Was also tun, um zu kontrollieren, ob der Motor rund läuft, die Scheiben dicht sind und die Räder richtig gewuchtet? Es ging zur Probefahrt auf die Autobahn. Meistens zu zweit – und mit dem Stethoskop ausgerüstet. Kein Scherz. "Damit haben wir die Windgeräusche geprüft. Einer ist gefahren, der andere hat gehorcht."

Damals war es noch echte Handarbeit

"Wenn die Verarbeitung nicht richtig war und die Kleberaupe (eine vorgefertigte Klebeverbindung, d. Red.) unterbrochen war, dann ist Vakuum entstanden. Dadurch hat es gepfiffen. Das hat man genau lokalisieren können, wo die Stelle ist." Die Problemstelle am Glas wurde angezeichnet und das Auto ging in die Nachreparatur.

Fotos im Album von Michael Aigner zeigen die Prüfzone, sein Abteilungsleiter-Büro – und auch den ersten roten 5er-BMW. Als er produziert wurde, habe es noch keine Förderbänder gegeben, sagt Aigner. In den ersten Monaten sei echte Handarbeit gefragt gewesen, bis die Bänder installiert waren. "Die Karossen wurden noch von den Mitarbeitern bewegt. Wenn einer mit der Arbeit fertig war, haben die anderen ihm geholfen, das Auto weiterzuschieben."

Fotoaufnahmen geben Einblick in vergangene Zeit

Aigner selbst hat die Fotos im Werk gemacht, die sich in seinem Album befinden – ganz legal, wie ein gelber Film- und Fotografierausweis, der neben dem Bild des ersten BMWs klebt, bestätigt. "Anscheinend bin ich eine Vertrauensperson gewesen, sonst hätten sie ihn mir nicht gegeben", sagt Aigner.

Seine Aufnahmen dokumentieren wichtige Kapitel der BMW-Geschichte. Von 1974, als pro Tag bereits 100 Autos produziert wurden, über den Produktionsstart der 6er- und 7er-Baureihen ab Mitte der 70er-Jahre und das Jahr 1980 als die 3er-BMWs ins Produktionsprogramm aufgenommen wurden. Noch genau erinnern kann sich Aigner auch an das erste BMW-Dieselfahrzeug, das 1983 in Dingolfing vom Band lief und als die 7er- und 8er-Baureihe eingeführt wurden.

Im Jahr 2020 verlässt das fünf-millionste Auto das Werk

Ein besonders denkwürdiger Tag war der 25. Februar 2000. Das fünf-millionste Auto verließ das Werk Dingolfing. Auf dem Foto sind Aigner und sein Team zu sehen. Daneben ein avusblauer 528i, der nach dem offiziellen Festakt bei einer internen Tombola unter den BMW-Mitarbeitern verlost wurde.

Als im Februar 2000 der fünfmillionste Wagen, ein avusblauer 528i, vom Band geht, ist Michael Aigner (vorne rechts) auch noch dabei.
Als im Februar 2000 der fünfmillionste Wagen, ein avusblauer 528i, vom Band geht, ist Michael Aigner (vorne rechts) auch noch dabei. © Michael Aigner

"Fünf Millionen Autos, das klingt für einen Laien brutal viel. Für mich nicht", sagt Aigner. Damals seien schon an die 1400 Autos pro Tag in Dingolfing gefertigt worden. Zum Vergleich: In BMW-Zahlen von 2024 ist von rund 1500 Fahrzeugen die Rede, die täglich in Dingolfing vom Band laufen.

Und was ging dem Landauer beim fünfmillionsten Auto durch den Kopf? "Da hatte ich schon den Ruhestand im Sinn", sagt er lachend. Den trat Aigner im Jahr 2001 an. Einen großen Teil seines Albums nehmen aber nicht die Autos, sondern die Menschen ein. Zu seinem Team hatte er immer ein freundschaftliches, ja sogar familiäres Verhältnis, sagt Aigner.

Aigner ist zu Tränen gerührt

"Jeder kannte jeden." Man traf sich nach Feierabend oder am Wochenende: zum Kegeln in der Gaststätte, zum Skiausflug nach Zell am See oder zum Wanderausflug auf den Watzmann. Manchmal stand Aigner auch für sein Team am Grill, den er eigens gebaut hatte. "Das war eine schöne Zeit", sagt er und ist zu Tränen gerührt. Denn viele der früheren Kollegen leben nicht mehr.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Geblieben sind Aigner die Bilder und das gute Gefühl, Teil einer niederbayerischen Erfolgsgeschichte gewesen zu sein. Dass er im Werk Dingolfing gearbeitet hat, habe er nie bereut: "Ich würde es wieder tun." Einmal BMW – immer BMW.

Das gilt auch für die Garage des 82-Jährigen. Nur während der Ausbildung bei Opel Lang fuhr er einen Corsa. Später stieg er auf einen BMW um und wollte aus Überzeugung nie wieder umsteigen. "In meine Garage kommt mir nichts anderes mehr rein", sagt er bestimmt. Einen X1 fährt der Landauer heute. Ohne Stethoskop – aber immer noch mit offenen Ohren. "Wenn irgendwo der Wind pfeift oder ein Ventil klappert, höre ich das heute noch."

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.