Entdeckung von Leberknödeln und hintergründigen Zwergen

Kunst-Anstrengung für alle Jubeljahre: Als Dürer das Nürnberger Schauspielhaus herausforderte und mit „Schweig, Bub“ der Jahrhundert-Hit entstand
Zugegeben, es ist nicht ganz leicht, eine Verbindung zwischen Albrecht Dürer (1471-1528) und dem Nürnberger Schauspielhaus (1959-???) herzustellen. Einerseits ist die Weltgeltung des Malers sowieso uneinholbar, andererseits hat Nürnberg von der Arbeit seines Theaters entschieden mehr Originale. Genug gescherzt, in der 50-Jahres-Geschichte des derzeit als Hoffnungen verbreitende Baustelle existenten Hauses am Richard-Wagner-Platz, kommt dem malermeisterlichen AD, der es im Gegensatz zu seinem Nachbarn Hans Sachs nie zu einem Leben auf der Bühne brachte, tatsächlich eine besondere Bedeutung zu. Weil die Stadt 1971 den 500. Geburtstag ihres unbestreitbar größten Sohnes als allumfassendes Kultur-Spektakel - das Wort „Event" war damals gänzlich unbekannt – zur Imagepflege anlegte, war auch das Theater zu Kraftakten aufgefordert. Mit Sonder-Etats, wie es sie in dieser Dimension seither allenfalls bei den beiden verpatzten Chancen für den „Kulturstadt Europas"-Titel 1999 und 2000 gegeben haben könnte, sollte Weltstadt-Niveau auf die Bühne gewuchtet werden. Sogar ein Theaterstück erst nach Inspiration von Dürers „Ritter, Tod und Teufel", dann doch lieber nach dem „Narrenschiff" war im Gespräch. Eugene Ionesco, der mit „Die kahle Sängerin" sein Ehrenplätzchen im „absurden Theater" und den Höhepunkt des Schaffens längst hatte, schwankte zwischen Schauspiel-Text und Opernlibretto – ehe das ganze Projekt vorhersehbar platzte.
Repräsentativ, modern und nicht skandalträchtig
Der arme Schauspiel-Chef Hesso Huber sah sich von erwartungsvollen Blicken umstellt, als er mit dem ungewohnt dicken Scheckbuch zum Shopping in die höheren Lagen der deutschen Theaterlandschaft aufbrach. Repräsentativ sollte es werden, auch ein bissl modern, aber natürlich nicht skandalträchtig. Was hätte er tun sollen, er engagierte nach Marktlage. Es kam also für die Titelrolle in Brechts „Leben des Galilei" der große Ernst Schröder und bekam als Regisseur den ebenfalls von früher her berühmten Harry Buckwitz. Es trat der legendäre Willy Trenck-Trebitsch für den Prospero im „Sturm" an, aber statt des erwünschten Peter Palitzsch der verfügbare Karl Paryla. Trenck-Trebitsch war aber kein Zauberer, sondern nur ein Märchenonkel, weshalb in einer höhnenden Rezension der Querverweis auf Helmut Qualtingers Provinzschauspieler-Veräppelung nicht fehlte. Da lispelt sich ein Knattermime durch seine Rollen-Erinnerungen an einen der „sieben Zwerge“ und wie er ihn anlegte: „Hinnnterrrgrrründig!“. Fritz Umgelter, der zu dieser Zeit oft Massenaufmärsche für Literatur-Klassiker im TV-Studio arrangierte, den Straßenfeger „So weit die Füße tragen“ inszenierte und Kino-Kostbarkeiten wie „Wenn die Conny mit dem Peter" schuf, übernahm „Götz von Berlichingen". Er doste Johann Wolfgang von Goethe Leckerli in eine Blechrüstung ein und taufte das Stück auf „Ritter Götz" um. Das Publikum schaute dem Treiben der Alt-Promis ganz gerne zu, der Spott der Kritik über das aufwändig altmodische Theater wurde von Premiere zu Premiere ätzender. Mittendrin tauchte wie eine Botschaft aus anderen Welten das „antiteater“ des Rainer Werner Fassbinder auf, erst- und letztmalig in Nürnberg mit Auftrags-Uraufführung. Das später so berühmt gewordene Team mit Ingrid Caven, Harry Baer, Hanna Schygulla und Peer Raben hatte plaudernde Vampire an die Hausbar gesetzt und das „Blut am Hals der Katze" genannte Stück fertig geprobt nach Nürnberg importiert. Eine der schwächsten Arbeiten Fassbinders (vor allem, wenn man sie vergleicht mit Hans Hirschmüllers Comeback-Serie für RWF-Dramatik in den späten achtziger Jahren), aber im Dürer-Festprogramm eine der originelleren.
Ein Kabarettist fürs Luther-Jahr
Für Folge-Feste, allesamt auf kleinerer Flamme köchelnd, gab es derartige Fallhöhen nicht. Zum Luther-Jahr 1983 holte Hansjörg Utzerath den Kabarettisten Helmut Ruge für eine Satire um den Glauben und seine Vermarktung. Der Pointen-Handwerker quälte sich mit dem Thema ab, das Ergebnis war unter „Der Stadt-Luther" die Persiflage der TV-Shows, die ihre Quote über den Schein von Bildung suchen - und ungefähr so unterhaltsam wie sie. Da überließ man zum Stadtjubiläum 2000 und vorher beim bescheidenen Hans-Sachs-Jahr die Theater-Repräsentanz Wagners „Meistersingern" – das kann nicht ganz falsch sein.
Ein Stückemarkt führt zum fränkischen Exportschlager
Dabei war Hans Sachs weniger als jovialer Sänger, sondern mit deftigem Schwank-Text der Anstoß für den größten messbaren Erfolg im 50jährigen Schauspielhaus. Hans Dieter Schwarze, der sein so sorgfältig durchgeplantes „Volkstheater Nürnberg" nach nur einem Jahr im Stich ließ, hatte einen „Stückemarkt" in der Alten Messe organisiert, wo lebende Autoren kleine Einakter im Geiste des schusternden Poeten verfassen sollten. Fitzgerald Kusz war, neben dem Schweizer Franz Hohler und der Erlangerin Inge Meidinger-Geise, auch dabei, sah und hörte erstmals Sofie Keeser sein Kunstfränkisch sprechen und reagierte ähnlich perplex wie der Großteil des Publikums. Die abendfüllende Leberknödel-Orgie „Schweig, Bub", von Friedrich Schirmer erst mal für die kleinen Kammerspiele eingefädelt, kam ein Jahr danach. Es ist nicht nur die mit fast 700 Vorstellungen erfolgreichste Nürnberger Theaterproduktion aller Zeiten (rund 350.000 Zuschauer haben sie gesehen), sondern nach unzähligen Dialekt-Übersetzungen der fränkische Exportschlager schlechthin.
Bodenständiges Theater
Theater, das mit dem Ort der Aufführung ganz direkt oder metaphorisch exakt zu tun hat, kam dann erst wieder in der Direktion von Klaus Kusenberg. Er holte die dem Film am Broadway nachgeschobene Theaterfassung „Das Urteil von Nürnberg" hierher, ließ am Ausweichspielplatz der Nazi-Kongresshalle mit „Speer" und „Die Ermittlung" zwei stimmige Inszenierungen herausfordernd in die Kulissenreste stellen und hat mit dem Auftrag an den Österreicher Franzobel, aus Christiane Kohls Buch „Das Zeugenhaus" ein Drama zu machen, die Nachkriegszeit in Erlenstegen im Visier. Auch so kann Theater bodenständig sein. Dieter Stoll