Ein tänzelndes Monster
NÜRNBERG Wenn man sich sogar in Opernhäusern der Skandalstimmung nicht mehr sicher sein kann, ist es vernünftig, die Empörung selber zu inszenieren.
Georg Schmiedleitner, dem das Schauspielhaus so manche denkwürdige Aufführung verdankt, hat bei Giuseppe Verdis „Macbeth“, seiner ersten Nürnberger Opernregie, zur Ouvertüre fünf Jungs Fußball spielen und dann eine Horde keifender Damen im Parkett protestierend mit dem Abonnenten-Standardruf „Was soll denn das?“ aufspringen lassen. Kein Grund zur Erregung, es war der premierenfein gekleidete Frauen-Chor, der mit Handtäschchen-Bewaffnung die Rollen der Hexen im alsbald einsetzenden Gemetzel übernahm.
Anders als William Shakespeare steuert der Komponist direkt auf die mit dem Messer geregelte Thronfolge zu, und der überdeutlich angesetzte Psycho-Hebel der Schmiedleitner-Interpretation besteht in der fehlenden Fruchtbarkeit des Schreckens-Paares, das mit Baby-Puppen und Original-Kids gepeinigt wird: Kinder an die Macht des Schicksals.
Die leere Szene ist von Nebelschwaden und ähnlich undurchschaubaren Horoskopen besetzt. Der Karriere-Feldherr, den seine ehrgeizige Frau und das heldensüchtige Volk zu Aufstieg und Absturz treiben, ist dieser Überforderung durch verlockende Weissagungen ausgeliefert.
Bühnenbildner Harald Thor findet ein starkes Bild: Er klappt drei dicke Wände hoch, und schon ist Macbeth eingebunkert in der Illusion der Macht. Während ihn seine eiserne Lady im Babydoll anfeuert, waren die Hexen beim Einkauf im Baumarkt – zum Choreinsatz wuchten sie zentnerschwere Plastiksäcke voller Garten-Humus herein und streuen die „Mutter Erde“-Basis, auf der alle Schrecken wuchern können. Einer davon ist, dass Konkurrent Banquo (Nikolai Karnolsky mit sehr gradliniger Stimmwucht) stets seinen Sohn an der Hand führt. Wenige Albträume später spazieren dem Titelhelden lauter kleine Kinder-Könige durch die Nachtgedanken.
Metzelnde Klassik in einer Ahnung von Gegenwart
In Schmiedleitners detailfreudiger Inszenierung ist die metzelnde Klassik in einer Ahnung von Gegenwart positioniert. Ein „Tag des Stolzes“ wird da vom siegestrunkenen Volk ausgerufen, wenig später aus gleichem Mund „Strafe“ für den eben gefeierten Helden gefordert, und etwas überraschend taucht in den Übertiteln das Wort „Schurkenstaat“ auf. Mord kommt hier aus geschäftsmäßiger Konsequenz.
Das Jammerbild des Selbstmitleids lässt dem gekrönten Schurken (Mikolaj Zalasinski wird fürs Charakter-Porträt aus Spiel und Stimme gefeiert, obwohl er seiner Neigung zum Bibber-Pathos oft nachgibt) keine Rechtfertigungs-Chance. Die Lady braucht das sowieso nicht: Lisa Houben spielt den Schrittmacher-Dienst der Machtgier mit der Eleganz eines tänzelnden Monsters, singt mit geradezu inbrünstiger Bannkraft, scheitert aber an den dramatischen Aufschwüngen. Der Chor, der weitere „Hauptdarsteller“, lotet die Dramatik aus, verbindet Spiel und Gesang am besten.
Mehr als die Regie, die aus vielen guten Einzelheiten den großen Durchbruch zur überwältigenden Opern-Emotion nicht hinkriegt, überrascht der Dirigent. Guido Johannes Rumstadt umfasst mit den Philharmonikern die ganze Spannweite von Verdis Klang, der beim Wiederhören zwischen Splatter-Soundtrack, Revue-Groteske und Melodram-Poesie sein faszinierendes Eigenleben entwickelt. Szenennah und sängerfreundlich wie selten wird das musiziert.
Zum Schluss, dem die Aufführung das Triumph-Finale aus guten Gründen verweigert, kommt nochmal ein Kind. Der überlebende Junge mit dem Kopfhörer schreitet rhythmisch zuckend über alle Blut-Opfer hinweg – er hat wohl nichts begriffen. Das Schicksal wartet guter Dinge auf die nächste Generation. Langer Beifall, etwas Buh. Nach viel Schaumgebäck gibt es im Nürnberger Opernspielplan nun also auch Vollkorn.
Nächste Aufführungen: 15., 20., 27. 3. und 10., 13. 29. 4.
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